Das Feuer der Wüste
fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen wieder ein wenig geborgen.
»Und, was gibt es Neues?«, fragte sie.
Mama Elo und Mama Isa schüttelten im Gleichklang die grauhaarigen Lockenköpfe. »Nicht viel. Ein Stück Zaun ist an der Grenzweide zur Farm der Millers kaputtgegangen. Nath war da. Er hat gesagt, er wird es reparieren.«
Ruth nickte.
Mama Elo ließ das Bohnenmesser sinken. »Und du? Hast du etwas erreicht in der Stadt? Du warst lange unterwegs.«
Ruth sah in die ängstlichen Gesichter der beiden Frauen. Was sollte aus ihnen werden, wenn es Salden’s Hill nicht mehr gab? Ihr ganzes Leben hatten sie hier verbracht. Jetzt waren sie zu alt, um anderswo eine Anstellung zu bekommen. Wovon sollten sie leben? Eine Altersrente gab es in Namibia nicht. Und Kinder, die sie aufnahmen und versorgten, waren ihnen nicht vergönnt gewesen.
»Ich war auf der Farmersbank«, sagte sie kurz. »Es wird alles gut werden. Wir brauchen nur etwas Zeit.« Sie schwieg eine Weile, dann aber berichtete sie von der Demonstration der Schwarzen, in die sie zufällig geraten war. Ruth hätte Mama Elo und Mama Isa gerne nach ihrer Großmutter gefragt, doch irgendetwas hinderte sie daran. Sie hatte schon so oft gefragt und nie eine Antwort bekommen. Und auch jetzt, wo Ruth wusste, dass Mama Elo und Mama Isa ein Geheimnis hüteten, würden die beiden ihr sicherlich nichts verraten. Vielleicht würden sie sie stattdessen sogar daran hindern, am Wochenende zur Oshoha-Familie zu fahren.
Sie stand auf und ging ins Haus. Im Arbeitszimmer saß ihre Mutter wieder einmal über den Büchern.
Rose sah auf. »Gut, dass du wieder da bist. Ich habe geschaut, was wir verkaufen könnten, aber da gibt es nicht viel. Was hat die Bank gesagt?«
Ruth setzte sich, löste die Spange aus ihrem Haar und schüttelte die roten Locken. »Ich habe mit Claassen gesprochen. Es bleibt alles, wie es war. Der Kredit muss bis zum Ende des Jahres beglichen werden, sonst wird die Farm versteigert.«
Rose nickte, und Ruth fand, dass sie dabei lange nicht so unglücklich wirkte, wie sie es erwartet hätte. Immerhin würden sie alle ihre Heimat verlieren. »Denkst du überhaupt nicht an Elo und Isa? Ist dir egal, was aus den Arbeitern wird?«, brach es aus ihr heraus. »Vierzig Leute leben auf Salden’s Hill. Wir haben eine Verantwortung für sie.«
Rose sah auf. »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun? Du weißt genau, welche Möglichkeiten wir haben. Wenn dir so viel an den Leuten hier liegt, dann heirate Nathaniel Miller.«
»Dann verlieren sie noch schneller ihre Existenz«, erwiderte Ruth hitzig. »Ich bin kein Dummkopf, Mam, und Nath Miller ist es auch nicht. Wenn sein Bruder Miller’s Run übernimmt, stehen genug Arbeiter zur Verfügung. Nath wird sie jederzeit anfordern können. Unsere werden dann überflüssig. Es ist letztendlich gleich, ob wir die Farm an die Bank oder an die Millers verlieren.«
Ruth stand auf und wandte sich zur Tür.
»Wohin willst du?«
Ruth sah ihre Mutter einen Augenblick lang aufmerksam an. Wie gern hätte sie ihr von dem Artikel in der Zeitung berichtet, wie gern von der Ähnlichkeit zu ihrer Großmutter. Doch auch jetzt hielt sie etwas zurück. »Ich will die Weiden abreiten und sehen, ob alles in Ordnung ist. Es dauert nicht mehr lange, bis die Jungschafe bockig sind«, sagte sie schließlich.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging sie in ihr Zimmer hinauf. Sie hängte ihre Stadthose ordentlich auf einen Bügel, schlüpfte in ihren Overall und band die Haare mit einem Tuch zusammen.
Plötzlich stand ihre Mutter in der Tür. »Du kannst doch nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen, Ruth. Hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie dein Leben weitergehen soll? Wie deine Zukunft aussehen soll ohne die Farm?«
Ruth wandte sich zu ihrer Mutter und streifte sie mit einem verächtlichen Blick. »Wer keine Vergangenheit hat, hat es schwer, an seiner Zukunft zu bauen. Wann willst du mir endlich sagen, was früher auf der Farm geschehen ist? Wann erfahre ich endlich etwas über meine Großeltern, über dein Leben hier vor meiner und Corinnes Geburt?«
Wie leid sie diese Heimlichtuerei war! Sie wollte wissen, was geschehen war, und zwar bevor sie in wenigen Monaten ihre Heimat verlor.
Rose schluckte. Dann senkte sie den Kopf und räusperte sich. »Ja, es ist wohl an der Zeit, dass ich dir einiges erzähle. Vielleicht finden wir heute Abend eine Gelegenheit dazu.«
»Darauf kannst du wetten«, entgegnete Ruth
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