Das Feuer der Wüste
»Und mein Vater? Warum hast du ihn nie geheiratet? Warum war er nie dein Partner und Gefährte?«, fragte sie leise.
Plötzlich wusste sie nicht mehr, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Ruth hatte ihren Vater gekannt – er war ja erst vor vier Jahren gestorben –, aber dennoch wusste sie nicht, wie ihr Vater auf die Farm gekommen war. Anders als Corinnes Vater war Ian jedoch mit Sicherheit kein Märchenprinz gewesen, der durch glückliche Fügung den Weg zu seiner Prinzessin gefunden hatte. Nein, ihr Vater war nicht das, was sich Rose als Ehemann und Bass für Salden’s Hill gewünscht hatte.
»Ja, dein Vater.« Rose seufzte. »Corinne war zwei Jahre alt. Lenning hatte die Schafscherer bestellt. Ich musste die Wolle zusammenkehren und danach sortieren. Einer der Scherer war ein rothaariger Ire, ein stämmiger Kerl, der so viel Kraft hatte, dass er den Zug von Gobabis bis Windhoek mit bloßen Händen hätte ziehen können. Es machte ihm Spaß, die Schafe hochzuheben, als wären sie aus Papier. Er hatte weiße Zähne und ein ansteckendes Lachen … An einem Tag hatten wir besonders viele Schafe geschoren. Wir alle waren verschwitzt, die Sachen klebten auf der Haut. Ich war voller Schafsdreck und habe gestunken wie ein Bock. Und ausgerechnet an diesem Tag ging die Wasserpumpe entzwei. Es war schon dunkel, niemand konnte sie mehr reparieren. Ian schlug vor, hinunter an den Fluss zu gehen, der glücklicherweise gerade Wasser führte, und dort zu baden. Mama Elo wollte nicht, dass ich mit einem Schafscherer gehe, doch meine Sehnsucht nach sauberer Haut war so groß, dass ich ihm folgte.
Wir schwammen im Fluss, es war wunderbar kühl, und Ian wusch mir am Ufer das Haar. Er sagte, ich sei die schönste Frau, die er je gesehen habe. Und seine Blicke bestätigten mir, dass er in diesem Augenblick die Wahrheit sprach. Ich schlief mit ihm, gleich draußen am Fluss. Er war so zärtlich. So zärtlich, wie es nur Männer sein können, die über sehr viel Kraft verfügen …
Als die Schafscherer weiterzogen blieb Ian hier, als Farmarbeiter. Na ja, und dann kamst du.«
»Du hast mich nicht gewollt, nicht wahr? Ein Kind von einem irischen Bären. Von einem dreckigen Schafscherer, der immer Schmutz unter den Fingernägeln hat.«
Rose sah ihre Tochter lange an. Dann seufzte sie. »Nein, zuerst habe ich dich nicht gewollt. Eine ledige Frau mit einem Kind, das war ein Skandal. In der Kirche musste ich seit Corinnes Geburt ganz hinten sitzen. Keiner hätte mich noch geheiratet. Ich galt als verdorben. Und dann war ich zum zweiten Mal schwanger, und wieder hatte ich keinen Mann dazu. Die Krämerin in Gobabis hat mich nicht mehr bedient. Die Schuljungen haben mir Schimpfworte nachgerufen.«
»Und warum hast du Ian dann nicht geheiratet?«, fragte Ruth.
»Einen Schafscherer? Nein, Ruth. Nein, nein, nein! Unmöglich.« Rose schloss die Augen und hob die Hände vor die Brust. Kein Wort.
Ruth kannte diese Geste zur Genüge, aber heute nahm sie keine Rücksicht darauf. »Hast du deshalb auch verlangt, dass ich ihn Ian nenne statt Vater? Weil du dich geschämt hast, dass deine Tochter einem irischen Schafscherer ihr Leben verdankt? Weil er dir nicht gut genug war? Und ich, ich bin dir auch nicht gut genug, stimmt’s?«
Erst nach einer Weile antwortete Rose: »Ich habe dich immer geliebt. Auf eine andere Art, als ich Corinne liebe, aber geliebt habe ich dich jeden Tag deines Lebens.«
Ruth hätte ihrer Mutter zu gern geglaubt, doch sie konnte es nicht. Zu viele Jahre lang hatte sie sich neben Corinne zweitrangig gefühlt, hatte geglaubt, dass Mama Elo und Mama Isa sie liebten, während ihre Mutter sie nur duldete. Sie schluckte, ihr Hals wurde eng, und sie musste sich räuspern, bevor sie weiterfragten konnte: »Hast du ihn auch geliebt, meinen Vater?«
Rose sah auf. Ihr Gesicht war so verzerrt vor Schmerz, dass Ruth wegsehen musste. »Ich weiß nicht, ob ich ihn geliebt habe. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich je einen Mann geliebt habe. Vielleicht kann ich es nicht. Es war schön mit ihm am Anfang, das weiß ich noch. Später war er ein Arbeiter auf der Farm wie alle anderen auch, nur dass er sein Zimmer im Herrenhaus hatte. Wir waren nie ein Paar, Ruth. Ich nehme an, du bist jetzt enttäuscht, nicht wahr? Vielleicht wäre es deshalb auch am besten, Salden’s Hill ein für alle Mal hinter uns zu lassen. Irgendwo neu anzufangen, ohne den Ballast der alten Geschichten.«
Rose suchte den Blick ihrer Tochter. Doch Ruth
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