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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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auf Ruth so konzentriert wie ein Zahnarzt, der schon den Bohrer in der Hand hielt.
    »1903, im Dezember.«
    »Hmm, der Aufstand der Nama und Herero war 1904. Dabei sind auch zahlreiche weiße Farmer ums Leben gekommen. Die Zeitung wurde erst 1916 gegründet. Ich nehme an, dass die AZ zu den Jahrestagen des Aufstandes berichtet hat. ›Wie gehen die Angehörigen der Opfer fünfzehn oder zwanzig Jahre nach dem Aufstand damit um?‹ und so weiter. Sie wissen schon – wie die Gazetten halt so schreiben.«
    Ruth nickte, obwohl sie eigentlich nicht nachvollziehen konnte, wovon Horatio sprach.
    Der junge Historiker war schon einen Gedanken weiter. »Ich schlage vor, wir nehmen uns als Erstes den Band von 1919 vor. Da lag der Aufstand fünfzehn Jahre zurück. Danach sehen wir weiter.« Er wies Ruth mit einer Geste einen Platz zu, dann ging er zielstrebig zu einem Regal am Kopf des Raumes hinüber, nahm zwei Bände mit der Aufschrift »1919/I« und »1919/II« heraus, trug sie zum Tisch und setzte sich neben Ruth.
    »Der Hereroaufstand begann im Januar 1904, aber er zog sich über Monate hin. Endgültig beendet wurde er erst im Jahre 1906«, referierte er. »Wir müssen also alle alten Zeitungen sorgfältig durchgehen. Achten Sie vor allem auf die Überschriften und die etwas dünneren Zeilen, die als Unterüberschrift darunterstehen.«
    »Erzählen Sie mir etwas mehr vom Aufstand?«
    Horatio zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie lieber die, die dabei gewesen sind. Sie kennen doch sicher einige Schwarze, die damals schon gelebt haben, oder? Lassen Sie sich deren Sicht der Dinge berichten, und danach fragen Sie die Weißen. Sie werden staunen, wie unterschiedlich Erinnerungen sein können.«
    Ruth dachte an Mama Elo und Mama Isa und nickte. Dann nahm sie sich den ersten Band vor, blätterte jede einzelne Seite um. Manchmal hielt sie inne, las sich fest, doch sogleich war ihr Blick schon wieder von einer Nachricht auf eine weitere auf der Nachbarseite gehuscht. Nach einer Stunde tat ihr der Hintern weh, nach zwei Stunden begannen ihre Augen ein wenig zu brennen. Nach zweieinhalb Stunden schlug sie den Band enttäuscht zu und sah zu Horatio hinüber. »Und?«, fragte sie.
    »Nichts. Ich schlage vor, wir trinken einen Kaffee und machen dann weiter mit den Bänden von 1924, dem zwanzigsten Jahrestag des Aufstands.«
    Ruth nickte und erhob sich. Sie fühlte sich müde und zerschlagen wie nach einem Viehtreck. Hoffnungslosigkeit überkam sie. »Und wenn wir nichts finden?«, fragte sie wenig später Horatio und blies vorsichtig in den heißen Kaffee.
    »Dann müssen wir überlegen, was wir noch tun können.« Er unterbrach sich, trank einen Schluck, sprach dann weiter: »Sie müssen überlegen, wer noch etwas wissen könnte. Fragen Sie die Leute auf Ihrer Farm.«
    »Das habe ich schon. Zehn Mal, hundert Mal. Keine Antwort.«
    Horatio lachte. »Eigentlich sehen Sie nicht so aus, als würden Sie so schnell die Flinte ins Korn werfen. Bleiben Sie dran, lassen Sie nicht locker.«
    Ruth lächelte. »Sie meinen die gute alte Auf-den-Wecker-fall-Methode? Darin bin ich Spezialistin.«
    Sie tranken den Kaffee aus und begaben sich erneut in den Lesesaal. Ruth hatte kaum die ersten zwanzig Seiten umgeblättert, als Horatio leise durch die Zähne pfiff.
    »Sie haben etwas gefunden, oder?« Hatte Ruth eben noch unter der Hitze gestöhnt, fröstelte sie plötzlich. Zögernd griff sie nach dem Band, den Horatio ihr zuschob. Sie atmete tief durch, dann ließ sie ihre Haare wie einen Paravent zwischen sich und die Welt fallen und las den großen Artikel. Sie las ihn einmal, dann noch einmal und noch ein drittes Mal, doch auch dann war sie noch nicht in der Lage, die einzelnen Worte zu Sätzen zusammenzufassen. Ihr Herz schlug bis in den Hals hinauf, und sie hatte Mühe zu atmen. Ruth hob den Kopf, warf ihr Haar über die Schulter und sah Horatio fragend an.
    Der verstand, griff nach dem Band und begann leise vorzulesen. Ruth hörte von einem Mord, der 1904 begangen worden war. Begangen auf Salden’s Hill. Ein weißer Farmer, Wolf Salden, hatte beim Graben eines Brunnens einen Diamanten gefunden. Einen Stein, so groß wie eine Aprikose. Einen Tag später hatte man seine Leiche gefunden. Jemand hatte ihn erschlagen.
    »Die AZ behauptete, ein Herero sei der Mörder gewesen«, fasste Horatio den Schluss des Berichts zusammen. »Schließlich stand Salden’s Hill auf ehemaligem Hereroland. Als die Polizei vor Ort eintraf, war die Farmerin Margaret

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