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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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und ging an ihrer Mutter vorbei.
    Es war spät, als Ruth mit der Arbeit fertig war. Der Regen hatte noch auf sich warten lassen, und so hatte sie den Zaun repariert, um den Nath sich eigentlich hatte kümmern wollen, hatte zwei Lämmer eingefangen, die sich durch die Lücke aus dem Staub gemacht hatten, hatte die Tränken gescheuert und die Abdeckungen der Brunnen überprüft. Als sie ihr Pferd mit Stroh abrieb und ihm Hafer in die Futterkrippe schüttete, war die Sonne längst hinter die Hügel gefallen. Verschwitzt und müde lief sie auf das Haus zu. Dort saß im Schatten einiger Kerzen jemand in der Loggia.
    »Hey, Mam.«
    »Hallo, mein Schatz. Willst du ein Bier?«
    Ruth nickte, nahm die geöffnete Flasche entgegen und ließ sich in den anderen Korbstuhl fallen.
    »Ich bitte dich, nimm ein Glas.«
    »Ich arbeite wie ein Mann, Mam. Also lass mich auch trinken wie ein Mann.« Sie setzte die Flasche an, nahm einige kräftige Züge und wischte sich dann mit dem Handrücken über den Mund.
    »Das hat dein Vater auch immer so gemacht. Und er hat sich ebenfalls geweigert, Bier aus dem Glas zu trinken. ›Bier‹, hat er gesagt, ›Bier ist ein Flaschengetränk.‹«
    Ruth lächelte und schwieg.
    Ihre Mutter sprach weiter. »Ich kam gerade von der Hauswirtschaftsschule. Herr Lenning, der Verwalter, der auch mein Vormund war, übergab mir offiziell die Leitung der Farm. Ich kümmerte mich um alles, was innerhalb des Hauses zu tun war, er tat das, was du heute tust. Eines Tages kam ein Wagen auf die Farm gerollt, ein Mercedes. Ich hatte vorher noch nie ein solches Auto gesehen. Ein junger Mann stieg aus, der Deutsch mit einem so lustigen Akzent sprach, dass er unmöglich von hier sein konnte. Es stellte sich heraus, dass er aus Kopenhagen kam, von der Karakulauktion. Dorthin werden die Felle geliefert, und er sorgt dafür, dass sie weiterverkauft und verarbeitet werden. Er hat mir die Hand geküsst zur Begrüßung und mich um Wasser für seinen Wagen gebeten. Es war schon spät, die Regenzeit hatte eingesetzt, und er kannte die Pad nicht. Er kam aus Gobabis und wollte weiter nach Marienthal.
    Ich bot ihm an, bei uns zu übernachten. Und er nahm mein Angebot an. Mama Elo und Mama Isa brieten die leckersten Elenantilopen-Steaks, die ich je gegessen hatte. Im Keller fanden sich noch zwei Flaschen Rotwein. Wir haben die halbe Nacht hier draußen gesessen und geredet. Es war das erste Mal, dass ich auf diese Art mit einem Mann zusammen war, mit einem, der nicht nach Schaf stank. Die Jungs hier in der Gegend hatten nur das Rodeo im Kopf damals. Keine Manieren, nichts. Aber der Fremde hat mich behandelt wie eine Prinzessin.« Rose lachte verlegen. »Na ja, zumindest wie eine vornehme Frau.«
    Sie brach ab, ihr Blick schweifte über das Land. Ruth sah, dass sie in glücklichen Erinnerungen schwelgte. So gelöst und heiter wie in diesem Augenblick hatte sie ihre Mutter selten gesehen. Richtig hübsch sah sie dabei aus.
    Zum ersten Mal wurde Ruth bewusst, dass auch ihre Mutter mehr war als Mutter und Farmerin: eine Frau mit Bedürfnissen und Sehnsüchten. Sie nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Bierflasche und wartete, bis ihre Mutter in die Gegenwart zurückfand.
    »Na ja«, sprach Rose schließlich weiter. »Er fuhr am nächsten Tag fort, und neun Monate später brachte ich Corinne zur Welt.«
    »Weiß der Mann, dass er eine Tochter hat? Hast du ihn je wiedergesehen?«
    Rose lächelte. »Nein. Ich habe es ihm nie gesagt, habe keinen Kontakt mit Kopenhagen aufgenommen. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.«
    »Warum nicht? Hat es dich nicht interessiert?«
    Rose sah sie an. »Ich war immer allein. Mein ganzes Leben lang. Immer allein. Ich wollte endlich etwas haben, das nur mir gehört. Verstehst du das? Mit niemandem wollte ich das Kind teilen, auch nicht mit dem Vater.«
    Ruth nickte. Auch sie war immer allein gewesen und verstand die Sehnsucht ihrer Mutter nur zu gut.
    »Ich bekam Corinne und war glücklich. Sie hatte so zarte Haut, so kleine rosa Fingerchen, so winzige Zehen. Und sie sah ihrem Vater von Anfang an ähnlich. Sie war nie eine aus dem Busch, eine vom Land, eine Gotcha . Corinne war zu Höherem berufen. Siehst du, und jetzt lebt sie mit einem reichen Buren in Swakopmund.«
    »Hmm«, brummte Ruth, die noch nie eingesehen hatte, warum Corinne etwas Besseres sein sollte. Oder weshalb das Leben, das sie führte, in den Augen ihrer Mutter erstrebenswerter war als das Leben, das sie hier auf der Farm führte.

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