Das Feuer der Wüste
Sonne bereits als schmaler roter Streifen am Horizont, als sie wenig später auf ihrem Pferd im gestreckten Galopp die Weiden abritt, die Zäune und Tränken kontrollierte, den Wasserstand der Brunnen maß und den Zustand des Viehs beurteilte. Sie arbeitete, bis ihr Hemd schweißdurchtränkt war, ihr die Haare im Nacken klebten und ihre Zunge sich so trocken anfühlte wie ein Holzscheit.
Es war heller Vormittag, als sie das Herrenhaus von Salden’s Hill wieder erreichte. Sie stürzte in die Küche und trank gleich aus dem Wasserkran.
Mama Elo schüttelte bei Ruths Anblick den Kopf und holte dann einen Krug selbst gemachte Limonade heraus. Sie goss einen Becher voll und reichte ihn Ruth. »Langsam, Meisie, trink langsam.«
Ruth wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen.
»Du siehst müde aus, Meisie«, stellte Mama Elo fest. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nein«, hörte Ruth sich sagen. »Nichts ist in Ordnung, gar nichts. Wo ist Mam?«
»Wo schon? Es ist Samstag. Sie ist im Farmersclub in Gobabis.«
Ruth nickte abschätzig. »Die üblichen Kränzchen der Perlenkettenträgerinnen mit ihren cremesatten Gesichtern.« Hat sie keine anderen Sorgen?, dachte sie und spürte Ärger in sich aufsteigen.
»Sie mag es nun mal«, sagte Mama Elo beschwichtigend. »Viel Ansprache hat sie auf Salden’s Hill wirklich nicht. Sie ist anders als du, das weißt du doch. Sie ist für die Stadt geboren. Natur ist für Rose etwas, das einfach zu viel Dreck macht. Gönne ihr doch die paar Stunden.«
Und was gönnt sie mir?
»Was ist los mit dir, Meisie? Dich bedrückt doch etwas, das sehe ich. Seit du in Windhoek warst, bist du ganz verändert.«
Ruth seufzte. »Die Polizei in Windhoek hat auf demonstrierende Schwarze geschossen. Ich habe dir doch schon davon erzählt. Eine Frau wurde getötet: Davida Oshoha.« Ruth entging nicht, dass Mama Elo beim Namen der Toten leicht zusammenzuckte. Bei ihrem ersten Bericht hatte sie ihn nicht genannt. »Kanntest du sie?«
Mama Elo schluckte, wiegte den Kopf. »Kann sein, dass ich ihren Namen schon einmal gehört habe«, sagte sie zögernd.
»Von Margaret Salden? Von meiner Großmutter?«
Obwohl Mama Elo ihr den Rücken zuwandte, sah Ruth, wie die Schultern der alten Frau plötzlich zu beben begannen.
»Jetzt ist es wohl so weit«, murmelte Mama Elo. Langsam drehte sie sich um, watschelte zum Stuhl und ließ sich schwer seufzend darauf niedersinken. »Ich wusste, dass dieser Tag einmal kommen würde.« Sie sah Ruth in die Augen. »Was willst du wissen, Meisie?«
»Alles. Vor allem, was im Jahr 1904 hier auf der Farm geschah.«
Ruth merkte, dass Mama Elo unter ihrer dunklen Haut blass wurde. Ihr Atem ging schwer, auf der Stirn hatten sich kleine Schweißtropfen gebildet. Die alte Frau knetete ihre Hände im Schoß und seufzte noch einmal auf: »Ich war noch jung, kaum sechzehn Jahre alt. Deine Mutter war gerade geboren. Der Mister hatte einen Brunnen im Garten gegraben. Ein paar Namas haben dabei geholfen. Wenige Tage später war er tot. Ich war an diesem Tag nicht auf Salden’s Hill, später aber hörte ich, wie sich ein paar unserer Leute unterhielten. Vom ›Feuer der Wüste‹ war die Rede, aber mehr weiß ich auch nicht.« Mama Elos Lippen bebten.
Ruth ahnte zwar, dass die alte Frau ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, doch sie wusste auch, dass sie jetzt nicht nachbohren konnte, ohne Mama Elo zu quälen. »Das ›Feuer der Wüste‹? Was ist das?«, fragte sie deshalb nur.
»Ein Geheimnis, Meisie. Der größte Schatz der Namas, so etwas wie der Heilige Gral bei den Christen. Ein Diamant. Die Namas haben ihn verloren, heißt es. Seither sind sie dazu verurteilt zu leiden, denn die Seele des Stammes ist in dem Stein gefangen. Man erzählte sich, dass dein Großvater beim Brunnengraben einen Diamanten gefunden habe. Einen Diamanten, der so aussah wie das ›Feuer der Wüste‹.«
»Und meine Großmutter?«
»Sie war weg, als ich wiederkam. Sie und der Diamant waren spurlos verschwunden. Nur Rose war noch da. ›Kümmere dich um sie, Eloisa‹, stand auf einem Zettel. ›Tu das Beste für sie.‹ Und das habe ich getan.«
»Meine Großmutter hat den Heiligen Gral der Namas geraubt ?«, fragte Ruth fassungslos.
Mama Elo wiegte den Kopf. »Es gibt viele, die das glauben. Allen voran Menschen, die Margaret Salden nicht gekannt haben. Einige sagen, wer das ›Feuer der Wüste‹ in seinem Besitz hat, der hat auch Macht
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