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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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holen. Da erst sah ich, dass ich die ganze Zeit auf zwei Felsblöcke aufgepasst hatte. Die Ziegen waren weg.«
    Horatio brach ab und sah zu Ruth. »Verstehen Sie? Ich konnte schlecht sehen, aber niemand hat es bemerkt, niemand hatte Zeit, es festzustellen. Und so habe ich die Ziegen, den wertvollsten Besitz unserer Familie, verloren.«
    Obwohl er seine Verzweiflung hinter einem Grinsen zu verbergen suchte, sah Ruth in Horatios Gesicht die ganze Enttäuschung seines Lebens. Sie fasste kurz nach seiner Hand. »Sie konnten nichts dafür. Es war nicht Ihre Schuld, dass Ihre Augen so schlecht sind.«
    »Ich weiß. Meine Eltern hatten trotzdem kein Geld für eine Brille. Als der Nachbar starb, erbte ich seine. Ich konnte damit nur verschwommen sehen, aber wenn ich mir etwas dicht vor die Augen hielt, ging es.« Er hielt inne. »Der Nachbar war Hausmeister in einer Missionsschule, hatte auch einige Bücher. Da mich nach dem Verlust unserer Ziegen niemand mehr zur Arbeit brauchen konnte, begann ich zu lesen. Ich las alles, was mir unter die Finger kam. Der Pfarrer bemerkte meine Lesewut und lieh mir seine Bücher. Er war es auch, der dafür sorgte, dass ich in die Schule kam. Meine Eltern stimmten zu. Es gab kostenloses Mittagessen in der Schule, und so mussten meine Eltern einen Esser weniger versorgen. Der Lehrer war ein Baster, der Sohn eines Weißen und einer Schwarzen vom Stamme der Khoikhoi.«
    »Einer Hottentotten-Frau?«, fragte Ruth dazwischen.
    »Ja, ihr Weißen nennt sie wohl so. Die Namas sind die eigentlichen Hottentotten, aber auch die San gehören dazu. Mein Lehrer interessierte sich sehr für Geschichte; und schon bald war es auch mein größtes Hobby. Die anderen Kinder beachteten mich nicht, spotteten höchstens über mich, wenn ich wieder einmal über meine eigenen Füße gestolpert war. Ich war eine Niete beim Footballspiel, dafür bekam ich regelmäßig hervorragende Zensuren. Aber ich wünschte mir nichts mehr, als eines Tages den entscheidenden Treffer zu landen. Einmal nur, für einen einzigen Tag lang, wollte ich der Footballstar der Schule sein.
    Nun ja, stattdessen bezog ich Prügel, weil ich im Unterricht zu viele Fragen stellte. Es hieß, ich wollte mich bei meinem Lehrer einschleimen, aber das stimmte nicht. Ich hatte doch nichts anderes als mein Wissen.
    Ich schloss die Schule als bester Schüler ab. Das war nicht besonders schwierig, weil ich der Einzige war, der nicht zu Hause mit anpacken musste. Meine ganze Zeit konnte ich hinter Büchern verbringen.
    Für die Familie aber war ich nach wie vor nutzlos. Ich wusste, dass sie wollten, dass ich weggehe, obwohl sie es niemals gesagt haben. Ich war nur ein unnützer Esser, einer, der Platz zum Schlafen wegnahm. Der Lehrer setzte es durch, dass ich auf eine Universität kam. Ein Kaffer auf einer Universität! Das hatte es noch nie gegeben, und im Grunde war ich auch nie ein richtiger Student. Ich durfte an den Vorlesungen teilnehmen, aber immatrikuliert wie die Weißen war ich nie. Offiziell arbeitete ich dort als Hausmeister. Und wieder hatte ich Glück. Jemand erkannte meine Begabung für Sprachen. Ich durfte Geschichte und die Sprachen der Schwarzen studieren, durfte die Bibliothek benutzen. Man war sich sicher, dass man einen wie mich später einmal als Vermittler brauchen konnte. Ich wurde gedrängt, nach dem ›Studium‹ für die Regierung zu arbeiten, also für die Verwaltung in Südafrika, für die Weißen. Und ich stimmte zu, weil ich sonst nicht zu den Prüfungen zugelassen worden wäre.«
    »Was hat sich die Regierung davon versprochen?«, fragte Ruth leise.
    »Die Namas gelten als die Hüter der Diamanten«, erklärte Horatio. »Na ja, und ein Nama, der für die Weißen arbeitet und dem eigenen Volk die Geheimnisse entlockt, war von Nutzen für sie. Nach dem Studium lehnte ich es ab, für die Diamantenhaie zu arbeiten; schließlich hatte ich mich nur verpflichtet, für die namibische Verwaltung zu arbeiten, nicht für die Wirtschaft. Ich wollte meine Promotion über die verschiedenen Völker und Stämme und ihre Sprachen in Namibia fertigstellen. Aber bis heute habe ich keinen Doktorvater gefunden. Ich bin ein Nichts, bin einer, der von gewissen kleinen Forschungsaufträgen lebt … Im Augenblick arbeite ich an einer Studie über den Aufstand der Nama und Herero 1904 aus der Sicht der Schwarzen. Erforscht für die Weißen. Nun wissen Sie es.«
    »Wollen Sie immer noch ein Footballstar sein?« Es war mittlerweile so dunkel in dem

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