Das Feuer der Wüste
Horatio dachte, der geschuftet hatte, als würde er jeden Tag beim Schafscheren helfen. Er hatte sich die Hosenbeine hochgekrempelt, hatte nicht viel gefragt, sondern einfach angepackt. Die Arbeitsatmosphäre war unerwartet angenehm gewesen, denn zwischen den Männern gab es nicht wie sonst auf Salden’s Hill einen Wettkampf um den besten und schnellsten Scherer, sondern nur konzentriertes Arbeiten, unterbrochen von kleinen Pausen, in denen wortlos die Bierflaschen herumgereicht wurden.
Machen, einfach machen und nicht zu viel fragen und reden – das war eine Form der Arbeit, eine Form des Lebens, die Ruth sehr schätzte. Durch Reden, das hatte sie inzwischen gelernt, hatte sich noch nie etwas zum Besseren verändert.
Als sie später, nach einem Essen, das aus Lammsteaks, Bohnen und Speck bestand, mit den anderen vor dem Kamin saß, fühlte sie sich leicht, beinahe unbeschwert. Sie hielt eine Flasche Bier in der Hand und sah in die Flammen. Ein Fenster stand offen, die Abendkühle drang herein und ließ sie frösteln.
»Warum sind Sie nicht auf Ihrer Farm?«, fragte Walther, der Ältere, der Toms Vater war.
Ruth überlegte nicht lange. Sie fühlte sich in diesem Haus so wohl, so geborgen, so unter ihresgleichen, dass sie ihr übliches Misstrauen vergaß. »Meine Farm steht vor dem Ruin. Ich sollte den Nachbarn heiraten, um sie zu retten, doch ich weiß, dass er eine Molkereifabrik dort hinstellen würde. Mein Land will er verwüsten und«, sie zögerte einen Augenblick, »und er will mich unter seine Knute bringen. Das geht nicht. Ich bin ohnehin die Einzige, die die Farm retten will. Meine Mutter würde lieber in der Stadt leben.«
Walther nickte. »Es ist schwer für die Farmer, schwerer noch für die Farmerinnen. Auch hier in der Gegend haben schon einige aufgeben müssen. Aber was wollt ihr in Lüderitz?«
Ruth sah dem älteren Mann in die Augen. Sie las darin Interesse und Anteilnahme. »Meine Großeltern, so heißt es, sind mitten in den Nama- und Hereroaufstand geraten«, erklärte sie. »Mein Großvater ist dabei ums Leben gekommen, meine Großmutter mitsamt einem wertvollen Diamanten verschwunden. Ich möchte herausfinden, was damals auf Salden’s Hill geschah, möchte mich vergewissern, dass dort tatsächlich meine Heimat ist und dass es sich lohnt, um die Farm zu kämpfen.« Sie lachte ein wenig verlegen. »Vielleicht suche ich aber auch nur ein bisschen Kraft für das, was vor mir liegt.«
Walther nickte bedächtig, dann wandte er sich an Horatio. »Und Sie? Gehören Sie auch zu Salden’s Hill?«
Der Historiker schüttelte den Kopf. »Nein, ich arbeite an einer Geschichte meines Volkes, der Namas, und hoffe, im Archiv der Diamantengesellschaft in Lüderitz neue Erkenntnisse zu finden.«
Wieder nickte Walther bedächtig. Dann erzählte Tom von der Farm, von einem geplanten Zuchtprogramm und von einem neuen Verfahren bei der Bekämpfung von Giftpflanzen auf den Weiden. Ruth sah auf Walthers Zeichen zu Horatio und musste lächeln. Der Historiker hing im Sessel. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt, seine Arme baumelten links und rechts über die Lehnen. Die Brille war ihm auf die Nase gerutscht, der Kopf auf die Brust gesunken. Er stieß leise Schnarchlaute aus.
Walther stand auf. »Ich habe euch eine Kammer gerichtet. Ihr könnt schlafen gehen. Wir sind alle müde. Gleich nach dem Frühstück werde ich mich um den Dodge kümmern.«
Er nickte Tom zu, der sich an den Schwarzen wandte und ihm leicht auf die Schulter klopfte, bis Horatio die Augen aufschlug. »Komm, ich zeige dir, wo du schlafen kannst.«
Als die beiden Männer den Raum verlassen hatten, stand auch Ruth auf. »Ich gehe auch zu Bett.«
»Einen Augenblick, Meisie«, bat Walther, der noch einmal zurückgekommen war.
Ruth setzte sich wieder. »Ja?«
»Traust du ihm? Dem Schwarzen, meine ich.«
Ruth zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Bisher habe ich nur gute Erfahrungen mit ihm gemacht, aber ich kenne ihn kaum.«
Walther zündete sich eine Zigarette an, stieß den Rauch langsam von sich. »Was weißt du über die Namas?«
Ruth schüttelte den Kopf. »Nicht viel. Das, was alle Weißen wissen.«
»Und was weißt du vom ›Feuer der Wüste‹?
Ruth konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte, als Walther den Namen des Diamanten aussprach. Sie war sich sicher, den im Gespräch nicht genannt zu haben. »Nichts«, sagte sie.
»Dann will ich dir etwas darüber erzählen. Das ›Feuer der Wüste‹, so sagt
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