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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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einem Trakt ohne fließend Wasser und Strom angeboten. Dessen ungeachtet spazierten sie am Nachmittag gemeinsam durch das Städtchen. Niemand war auf der Straße. Nicht einmal im Viertel der Schwarzen saß jemand auf den üblichen Plastikstühlen vor der Tür. Über einen weiten Platz trieb der Wind eine alte Zeitung. Ansonsten lag Keetmanshoop still und verlassen.
    Vor der Missionskirche blieben Ruth und Horatio stehen. Um sie hatte es in der letzten Zeit immer wieder Auseinandersetzungen gegeben. Die Stadtbewohner wollten die Kirche behalten, die Regierung in Südafrika aber hatte die Kirche geschlossen, da sie der Meinung war, inmitten einer weißen Stadt gebe es nichts zum Missionieren. Und so war die Kirchentür verriegelt, der Bank seitlich des Eingangs fehlte ein Brett, der kleine Platz war von Vogeldreck übersät.
    »Mein Gott, was für ein schrecklicher Ort«, stellte Ruth fest. »Kaum zu glauben, dass man hier leben, lachen und lieben kann.« Ihr Blick fiel auf einen vorbeifahrenden Pick-up, einen schwarz lackierten Chevrolet, dessen hintere Scheiben mit dunklem Papier abgeklebt waren. »Aber das Städtchen scheint für manche Leute dennoch von großem Interesse zu sein.«
    Horatio blickte kurz zum Wagen und zuckte gleichgültig mit den Schultern.
    Ruth beschirmte ihre Augen mit der Hand, um besser sehen zu können. Der Pick-up hielt vor einer kleinen Bed & Breakfast-Herberge. Drei junge schwarze Männer stiegen aus. Einer der Männer kam ihr vage bekannt vor, doch Ruth erinnerte sich nicht, wo sie ihn schon einmal gesehen haben könnte. Ihr Gedächtnis für menschliche Gesichter war denkbar schlecht, dafür konnte sie beinahe jedes einzelne ihrer Karakulschafe auseinanderhalten. Menschen, fand sie, sahen sich einfach zu ähnlich. Fragend sah sie Horatio an, doch der hatte dem Chevrolet den Rücken gekehrt und starrte auf die Außenfassade der kleinen Kirche und sah nicht, wie die drei in einer kleinen Seitengasse verschwanden.
    Plötzlich hatte Ruth eine Idee. Wenn sie schon in diesem Kaff übernachten musste, dann sollte sich das wenigstens lohnen. Sie sah noch einmal kurz zu Horatio, der immer noch mit einer Inbrunst die Wand studierte, als wolle er sie malen. Dann schlich sie sich davon, ohne ein Wort zu sagen.
    Schnell fand sie, was sie gesucht hatte. Das Kaiserliche Hauptpostamt lag am Hauptplatz des Städtchens, gegenüber einer Fläche, die mit einer Handvoll Bäumen bewachsen war und von den Bewohnern »Central Park« genannt wurde. So zumindest verkündete es ein Schild.
    Die Halle des Postamts war klein und kühl und genauso unbelebt wie die restliche Stadt. Eine junge Frau saß gelangweilt hinter einem Schalter und betrachtete ihre Fingernägel.
    »Entschuldigung, ich suche ein Archiv zur Stadtgeschichte oder so etwas in der Art.«
    Die junge Frau runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, ob es so etwas in Keetmanshoop gibt. Gehen Sie zu Sam Eswobe. Wenn einer etwas über die Stadt weiß, dann ist er es.«
    »Wo finde ich ihn?«
    Die junge Frau überlegte einen Moment.
    Ein alter schwarzer Mann, der gerade hereingeschlurft war, kam ihr zu Hilfe. »Wo wird Sam schon sein?« Er lachte keckernd. »Seine Alte wird ihn mit dem Besen hinausgefegt haben. Unterm Köcherbaum wird er sitzen, beim Friedhof.«
    Ruth dankte, ließ sich den Weg zum Friedhof beschreiben. Unterwegs hielt sie immer wieder Ausschau nach den drei jungen schwarzen Männern, doch sie traf nur einen streunenden Köter, zwei Hühner, die sich um ein paar Körner stritten, und zwei Hererofrauen, erkennbar an ihren großen Hörnerhauben und den ausladenden farbigen Kleidern, die schwatzend unter einem Baum standen. In einem offenen Fenster bewegten sich dünne Vorhänge im Wind, irgendwo hörte sie einen Mann pfeifen. Doch davon abgesehen lag die Stadt noch immer wie ausgestorben da.
    Den Köcherbaum vor dem Friedhof sah sie schon von Weitem. Er reckte seine Zweige rund fünf Meter hoch in den Himmel. Je näher Ruth kam, umso besser konnte sie die pergamentartige Rinde des Baumes erkennen. Ihr Vater hatte ihr einst erklärt, dass die Schwarzen die Äste früher ausgehöhlt hatten, um Köcher für ihre Pfeile zu bauen. Ruth erinnerten die Köcherbäume aber eher an Pusteblumen, riesige halbrunde Pusteblumen.
    Unter dem Köcherbaum stand eine Bank, und auf der Bank saß ein alter Mann. Er trug einen Hut, wie ihn die weißen Farmer tragen. Ja, das musste Sam Eswobe sein. Genau so hatte die junge Frau auf dem Postamt ihn beschrieben.
    Ruth

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