Das Feuer der Wüste
Straßenrand und sah Horatio in die Augen. »Wem gehört das ›Feuer der Wüste‹ eigentlich?«, fragte sie.
»Was?« Horatio nahm erstaunt die Füße vom Handschuhfach.
»Wem genau gehört das ›Feuer der Wüste‹?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Der Stein muss einen Besitzer haben, oder nicht? Alles hat einen Besitzer. Sie sind mit mir gekommen, um den Stein für die Namas zurückzugewinnen. Sie sind mit mir gekommen, damit die Weißen nicht länger über die Schwarzen herrschen können. Geben Sie es doch endlich zu!«
Horatio schüttelte den Kopf. Er lachte, aber es war kein fröhliches Lachen. Er schüttelte den Kopf, stieg aus dem Wagen und lief ein paar Schritte die Pad entlang.
Ruth verließ den Dodge ebenfalls, setzte sich jedoch ein paar Schritte weiter unter einen Kameldorn und betrachtete das riesige Vogelnest, das die Seidenweber dort gebaut hatten. Voller Bewunderung sah sie die vielen Eingänge, die sicherlich dreihundert Vögeln ein Zuhause gaben. Auch auf Salden’s Hill gab es einen Baum mit einem solchen Nest. Es hatte einen Durchmesser von rund zwei Metern und war schon in diesem Baum, so lange Ruth denken konnte. Ian hatte ihr erzählt, dass diese Nester bis zu dreißig Jahre alt werden könnten, und stets war Ruth von der Baukunst der handtellergroßen Vögel fasziniert gewesen.
Horatio wandte sich um und kam langsam auf sie zu. Einen Schritt vor ihr blieb er stehen, sah auf sie herab. Seine breiten Lippen zuckten, die Nasenflügel waren vor Ärger gebläht, seine Augen hinter den Brillengläsern blitzten. »Wissen Sie, was Sie sind?«, fragte er und sprach weiter, ohne die Antwort abzuwarten: »Sie sind eine reaktionäre Weiße, eine Rassistin, wenn nicht gar Schlimmeres.«
Ruth riss einen Grashalm aus, kaute unbeeindruckt darauf herum und nickte. »Das sagt irgendwann jeder Schwarze über die Weißen. Jetzt sind Sie es auch los. Erzählen Sie mir nun, warum Sie auf der Jagd nach dem ›Feuer der Wüste‹ sind?«
Horatio schnaubte noch einmal, ließ sich dann aber neben Ruth nieder. »Es geht doch gar nicht um den Diamanten. Das ist ein Aberglaube. Die jungen Schwarzen, vor allem die in den Städten, glauben längst nicht mehr, dass der Stein ihr Schicksal ändern könnte. Viele von ihnen haben sich der SWAPO angeschlossen, kämpfen im Untergrund gegen die Unterdrückung durch das Apartheidregime. Sie werden sehen, es dauert nicht mehr lange, dann gibt es die SWAPO offiziell.«
»Wenn es nicht um den Diamanten geht, worum geht es Ihnen dann? Und wem gehört er rein rechtlich?«
Horatio schwieg. Er sah hinaus ins Veld, beobachtete einige Geier, die wohl über dem Kadaver einer Antilope, eines Springbocks, Gnus oder Kudus kreisten. »Von Gesetzes wegen gehört der Diamant Ihrer Familie, der Familie Salden. Er wurde immerhin auf Ihrem Besitz gefunden und angemeldet. Es gibt ein Gerichtsurteil dazu, es stammt aus dem Jahre 1905 und ist noch immer gültig. Aber was nützt das Urteil, wenn Ihre Großmutter samt Stein verschwunden ist?«
»Nichts«, bekräftigte Ruth. »Und deshalb können Sie mir auch sagen, warum Sie auf der Jagd nach dem Diamanten sind. Und überhaupt: Woher wissen Sie von dem Gerichtsurteil? Warum haben Sie mir nichts davon gesagt?«
»Eins nach dem anderen. Zuerst: Was soll ich mit einem Diamanten?«, fragte Horatio müde, aber Ruth konnte sich nicht vorstellen, dass er dafür keine Verwendung hätte. »Und zum Zweiten: Wir waren zusammen im Archiv der Allgemeinen Zeitung . In einem Artikel aus dem Jahre 1924 habe ich es gelesen. Ich dachte, Sie hätten es auch gelesen.«
Keetmanshoop, die kleine Stadt im Süden des Landes, hatte früher »Swartermodder« geheißen, schwarzer Schlamm. Deutsche hatten sie einst gegründet, und die Rheinische Missionsgesellschaft hatte 1866 eine kleine Kirche gebaut und den Ort in Keetmanshoop umbenannt. All das wusste Ruth noch aus dem Geschichtsunterricht in der Schule.
Sie sah sich neugierig um. Offensichtlich bestand die Stadt heute vor allem aus einer Siedlung halb verlassener, einfacher Häuser und einer Innenstadt, in der die Straßen keine Namen, sondern lediglich Nummern trugen. Es gab zwar keine Restaurants oder Pubs, aber immerhin eine Kaffeestube, eine Tankstelle, ein Lebensmittelgeschäft, einen deutschen Arzt, das Kaiserliche Hauptpostamt und einen Bahnhof, an dem die Züge von Windhoek nach Lüderitz Station machten.
Ruth fand ein billiges Zimmer im ehemaligen Schützenhaus, Horatio aber wurde nur ein Zimmer in
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