Das Feuer der Wüste
deutlich, doch sie konnte sich nicht daran erinnern, dass der Mann sie zu ihr gesagt hatte. Sie erinnerte sich nur noch daran, wie der Stein in ihrer Hand zu glühen begonnen hatte und vor dem Hintergrund der untergehenden Sonne Bilder aufgetaucht waren. Jetzt aber blieb der Stein in ihrer Hand kühl.
Als Ruth hinter sich Schritte hörte, ließ sie die Hand sinken. Horatio setzte sich neben sie. Schweigend sahen beide in den Sternenhimmel.
»Wenn die Sonne auf Ihr Haar scheint, dann ist es, als stünden Sie in Flammen«, sagte er leise. »Im Mondlicht aber schimmert es wie flüssiges Silber.« Sein Gesicht hatte einen liebevollen, besorgten Ausdruck. Er nahm eine Decke und legte sie behutsam über Ruths Schultern. »Ich möchte nicht, dass Sie krank werden«, sagte er und sah ihr in die Augen.
Ruth erwiderte seinen Blick, und diesmal wirkten seine Augen auf sie wie schwarze Opale. Das Feuer in ihnen schien direkt aus Horatios Seele zu kommen.
Behutsam hob Horatio eine Hand, strich ihr zart eine Haarsträhne aus der Stirn. Ruth spürte die Berührung auf ihrer Haut, und ihr Körper begann zu beben, als fröre sie. Am liebsten hätte sie ihr Gesicht in seine Hand geschmiegt, doch sie traute sich nicht. Noch nie hatte ein Mann sie auf diese Weise berührt. So, als ob er ihre Seele streichelte, nicht nur ihren Körper. Sie wagte nicht, sich zu rühren, und hoffte, er würde weiter über ihr Haar streichen. Mit dem Daumen strich er sanft über ihre Lippen. Ruth schloss die Augen, als er sein Gesicht dem ihren näherte, erwartete seinen Mund auf ihrem, doch da kam nichts. Sie schluckte und sah zu ihm.
Er saß wieder in der alten Stellung auf der Bank und betrachtete sie. »Sie sind schön wie das Feuer, hell wie das Licht und in der Nacht dunkel wie die Haut meiner Mutter«, flüsterte er.
Ruth spürte, dass seine Worte ein großes Kompliment waren, und wurde noch verlegener. Sie hob die Flasche an den Mund und trank, weil sie nicht wusste, wohin mit ihrem Blick, wohin mit ihrer durstigen Kehle, wohin mit ihrer Scham und ihrer Starrheit, die sie insgeheim verfluchte, wohin auch mit dem plötzlichen Kribbeln in ihrem Bauch. Für einen Augenblick kam ihr Corinne in den Sinn. Ihre schöne Schwester hätte sicher gewusst, was in einem solchen Moment zu tun war. Sie selbst aber wäre vor Verlegenheit beinahe in Tränen ausgebrochen.
Ruth war froh, als Horatio sich ebenfalls eine Flasche Bier öffnete, die Flasche sanft gegen ihre stieß und trank.
Nach einer Weile sagte er leise: »Wir sollten zurückfahren. Sie sollten nach Salden’s Hill zurückkehren, gleich morgen Früh.«
»Warum das?«, fragte Ruth. »Wir werden morgen Lüderitz erreichen. Warum sollte ich so kurz vor dem Ziel aufgeben?«
»Ihre Farm braucht Sie. Die Menschen, die dort leben, brauchen Sie.«
»Ach.« Ruth winkte ab. »Die kommen auch mal ohne mich klar. Meine Mutter sucht sicherlich weiter nach einer Wohnung in Swakopmund, nahe bei meiner Schwester. Für Mama Elo und Mama Isa ist einstweilen gesorgt. Es wird ein Stückchen Land übrig bleiben, auf dem sie wohnen können, so lange sie wollen. Die Arbeiter werden anderswo unterkommen. Oder wollen Sie mich plötzlich loswerden? Gibt es etwas, bei dem ich störe?« Ihre weiche Stimmung war wie weggewischt, die Zweifel hatten die Oberhand gewonnen.
»Vertrauen Sie mir, Ruth. Ich will Ihnen nicht schaden, aber glauben Sie mir, es ist das Beste für Sie, nach Hause zurückzukehren.«
Ruth rückte ein Stück von Horatio ab, kniff die Augen zusammen und sah ihm prüfend ins Gesicht. »Wissen Sie etwas, das ich auch wissen sollte?« Für einen Moment kam ihr der schwarze Pick-up in den Sinn und der junge Mann, dessen Gesicht ihr bekannt vorgekommen war. »Was haben Sie heute Nachmittag eigentlich gemacht?«
»Ich habe mir die Stadt angesehen, nachdem Sie fortgelaufen sind. Ich bin auch in der Kaffeestube gewesen, habe mit einigen Leuten gesprochen, aber das war nicht sehr ergiebig.«
»Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie mehr wissen, als Sie mir sagen.«
Horatio schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts, gar nichts. Aber es geht hier nicht nur um Ihre Großeltern, es geht auch um einen Diamanten von rund hundertsechzig Gramm. Wenn man ihn bearbeitet und schleift, werden vielleicht noch fünfhundert Karat übrig sein. Derzeit werden für ein Karat im Rohzustand ungefähr dreihundert amerikanische Dollar gezahlt. Es geht also um viel Geld, Ruth. Sehr viel Geld. Es wurden schon Menschen für
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