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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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demonstrativ vor den Spiegel und bürstete ihr nasses Haar.
    »Also sind die Blumen von Ihrem Verehrer, nicht wahr? Von diesem Henry Kramer.«
    Ruth fuhr herum. »Woher kennen Sie seinen Namen? Spionieren Sie mir etwa nach?«
    »Nein, aber es wäre wohl besser gewesen, ich hätte es getan.«
    »Pfft!« Ruth nahm das Döschen mit der schwarzen Wimperntusche in die Hand, spuckte hinein und kratzte mit einem winzigen Bürstchen in der Farbe herum. »Was soll das denn heißen?«
    »Dass Henry Kramer womöglich nicht der ist, für den Sie ihn halten. Er ist nicht Ihr Freund, Ruth.«
    Ruth ließ das Bürstchen sinken und trat ganz dicht an Horatio heran. »Ich habe keine Ahnung, warum Sie immer wieder versuchen, mir mein Vergnügen schlechtzureden«, sagte sie erbost. »Eigentlich habe ich auch keine Ahnung, was Sie von mir und überhaupt hier wollen. Die Story über Ihre Forschungen zum Hereroaufstand nehme ich Ihnen schon lange nicht mehr ab. Also unterstehen Sie sich, schlecht von Henry Kramer zu reden. Und jetzt raus!«
    Sie packte ihn am Ärmel und zog ihn zur Tür.
    »Nein, Ruth, Sie müssen mich anhören. Es geht um Ihre Sicherheit. Ich bin nicht Ihr Feind.«
    »Raus! Raus habe ich gesagt. Aber hastig!« Sie stieß ihn die letzten beiden Meter regelrecht zur Tür hinaus, knallte sie hinter ihm zu und drehte den Schlüssel im Schloss um.
    Von draußen hörte sie seine Stimme. »Ruth, hören Sie, ich will Ihnen doch nichts Böses. Im Gegenteil: Ich will Sie beschützen. Hören Sie mir zu. Nur eine Minute!«
    Ruth ging zu dem kleinen Radio, das auf dem Nachttisch stand, stellte es an und drehte den Lautstärkeregler auf die höchste Stufe. Dann schminkte sie sich weiter, bürstete ihr Haar und betrachtete sich in aller Seelenruhe im Spiegel. Als die Uhr zehn Minuten vor acht zeigte, lauschte sie an der Tür. Stille. Horatio war gegangen.
    Minuten später schlüpfte sie aus der Pension. Sie trug ihren neuen Schal in der einen Hand und die Ballerinas in der anderen, um im Gang ja keinen Lärm zu machen. Er ist eifersüchtig, dachte sie. Deshalb dieses Theater! Dass nun auch Horatio an ihr Gefallen gefunden haben könnte, gefiel ihr und ärgerte sie zugleich.
    Der Gedanke war jedoch rasch vergessen. Denn vor der Tür wartete bereits Henry. Er hatte ein frisches weißes Hemd angezogen, fuhr sich jungenhaft mit der Hand durch die Haare und lächelte breit, als er sie sah. »Bist du noch schöner geworden seit heute Mittag?«, fragte er.
    Ruth lachte. »Nein, ich habe nur fast vier Stunden geschlafen und fühle mich jetzt so ausgeruht, als hätte ich drei Tage lang nichts getan.«
    »Oh, das passt prima. Ich habe heute viel mit dir vor, meine Liebste. Darf ich bitten?«
    Er hielt ihr den Wagenschlag auf, und Ruth stieg ein. Auf der Rückbank entdeckte sie einen Weidenkorb und eine Decke. »Was hast du vor?«, fragte sie.
    »Schau nach oben. Was siehst du?«
    »Eine glühendrote Feuerkugel, die langsam hinter dem Hügel versinkt.«
    »Und was riechst du?«
    Ruth schnupperte. »Ein bisschen riecht es nach den Abgasen und dem Schweiß der Stadt. Ein bisschen nach Früchten, nach Meer, nach Sonne.«
    »Und was fühlst du auf deiner Haut?«
    Ruth sah auf ihren nackten Arm. »Den warmen Fahrtwind. Es fühlt sich ein bisschen so an, als streichle er mich.«
    »Sehr gut. Und das alles kannst du bei einem Picknick noch intensiver genießen.«
    »Oh!«, erwiderte Ruth. »Ein Picknick.«
    »Was ist? Magst du kein Picknick?«
    »Aber ja doch, sehr gerne sogar«, behauptete sie. Sie dachte an die Freiluftmahlzeiten, die sie bisher erlebt hatte, meist während eines Viehtrecks, und es grauste ihr davor. Man band die Pferde an, hielt Ausschau, ob in der Nähe eine Wasserstelle war, an der man sich wenigstens Gesicht und Hände waschen konnte. Dann holte man einen Kocher heraus, bereitete Kaffee oder Tee oder trank gleich Bier aus der Flasche. Dazu aß man die mitgebrachten Sandwiches, die seit dem Aufbruch am Morgen in der Satteltasche mitgeritten waren. Am Abend wölbten sich die Käsescheiben senkrecht nach oben, die Wurst hatte die Farbe gewechselt, und das Brot schmeckte wie ein alter Pappkarton. Auch der Kaffee oder Tee aus den Blechtassen schmeckte nicht besonders, hatte immer ein wenig das Aroma des Blechs angenommen.
    Und das war für Ruth noch nicht einmal das Unangenehmste an einem Picknick. Viel schlimmer war, dass Fliegen Mensch und Sandwich umschwirrten, sodass man stets eine Hand zum Essen und die andere zum

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