Das Feuer der Wüste
tust.«
»Und was ist eigentlich mit dir los?« Ruth stützte die Ellbogen auf die Tischplatte.
»Wieso? Was meinst du?«
»Du wirkst angespannt, Henry. So, als säße dir die Zeit im Nacken.«
»Tut mir leid, Liebste. Ich wollte nicht, dass du es bemerkst, aber ich sehe schon, ich kann vor dir nichts verbergen. Ja, du hast recht. Ich ersticke beinahe in Arbeit.«
»Warum hast du nichts gesagt? Du hättest mich in der Pension anrufen können.«
Henry hob die Schultern, breitete die Arme aus und drehte die Handflächen nach oben. »Ich wollte dich nicht enttäuschen, Liebste.«
Zehn Minuten später saß Ruth allein am Tisch. Die Bedienung hatte ihr eine Bœrewors gebracht, eine fettige heiße Wurst. Ruth probierte kurz, schüttelte sich und schob den Rest der Wurst angewidert von sich. »Eine Cola bitte«, signalisierte sie.
Sie schaute an sich hinunter. Vielleicht hätte ich mir die Siebenachtelhose doch nicht kaufen sollen , dachte sie kurz. Dann musste sie lächeln. Zu gern würde sie Henrys Gesicht sehen, wenn er an einem ganz normalen Arbeitstag auf Salden’s Hill vorbeikäme, um sie zum Mittagessen auszuführen. Unmöglich! Bestimmt wäre ausgerechnet an diesem Tag die halbe Herde durch einen kaputten Zaun geflohen oder sonst irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Entweder Arbeit oder Liebe, schoss ihr durch den Kopf. Beides geht nicht. Wer arbeitet, hat keine Zeit für die Liebe. Und wer liebt, hat keine Zeit zum Arbeiten.
Sie erschrak. Seit sie in Lüderitz angekommen waren, erkannte sie sich selbst nicht mehr. Arbeit und Liebe, das musste sich doch irgendwie vereinbaren lassen. Woher sonst kamen die Kinder?
Ich bin müde, dachte sie. Die letzte Nacht war viel zu kurz für mich. Ich werde in die Pension gehen und schlafen, damit ich heute Abend für Henry ausgeruht bin und gut aussehe.
Sie zahlte, stand auf und machte sich auf den Weg in die Pension.
»Ja, was ist denn?« Ruth zwang sich aus dem Bett und musste sich kurz am Tisch abstützen, weil sie noch taumelig vom Schlaf war. Da klopfte es bereits wieder an der Tür, diesmal energischer. »Ja, ja, ich komme ja schon!« Sie rieb sich die Augen, schlurfte zur Tür, riss sie heftiger auf, als es nötig gewesen wäre – und starrte in einen Strauß tiefroter Rosen.
»Hier, für Sie. Ich wünschte, mir würde auch mal jemand so etwas schicken.« Die Pensionswirtin hielt ihr den Strauß entgegen.
Ruth steckte ihre Nase für einen Augenblick in die köstlichen Rosen. »Von wem ist er denn?«
Die Pensionswirtin lachte. »Das weiß ich doch nicht. Sind Ihre Verehrer so zahlreich, dass Sie sie nicht mehr auseinanderhalten können?«
Ruth hörte die Häme, riss der Frau die Blumen aus den Händen und angelte nach dem Kärtchen. Sie las es noch in der Tür.
»Und? Von wem sind nun die Rosen?« Neugierig streckte die Pensionswirtin den Kopf ins Zimmer.
»Jedenfalls nicht vom Finanzamt«, erwiderte Ruth bissig und stieß ein »Pfft!« durch die Zähne, als die Wirtin sich beleidigt davonmachte.
Ruth knallte die Tür hinter sich zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und lächelte mit halb geöffnetem Mund vor sich hin. Dann strich sie sanft mit einem Finger über die samtigen dunkelroten Blätter. »Danke, Henry«, flüsterte sie. Sie spürte noch ein wenig dem Duft nach, betrachtete die Blumen und fühlte sich so jung und schön und unbeschwert wie jedes Mal, wenn es um Henry Kramer ging. Dann las sie noch einmal die Karte. »Diese Rosen für die schönste aller Rosen«, stand da, und weiter: »Ich freue mich auf heute Abend, habe wichtige Neuigkeiten für dich.«
Heute Abend? Ruth sah zum Fenster. Der Himmel hatte sich inzwischen orange gefärbt. Sie musste richtig eingeschlafen sein. Hektisch schaute sie zur Uhr auf ihrem Nachttisch: sieben Uhr. Sie hatte tatsächlich fast vier Stunden geschlafen. Schnell griff sie nach ihrem Handtuch, sprang unter die Dusche, wusch sich das Haar. Sie war gerade in ihr Zimmer zurückgekehrt, um die neuen Sachen anzuziehen, als es wieder an der Tür klopfte.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Horatio.«
Ruth seufzte, dann zog sie die Bluse über und öffnete die Tür. »Was ist?«
»Ich muss mit Ihnen reden. Es ist dringend.« Sein Blick fiel auf die Rosen, die Ruth zwischenzeitlich in einem gelben Plastikeimer deponiert hatte. »Haben Sie Geburtstag oder so etwas?«
»Eine Frau muss nicht unbedingt Geburtstag haben, um von einem Mann Blumen geschenkt zu bekommen«, erwiderte Ruth patzig, stellte sich
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