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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Inhalte der Näpfchen und Töpfchen achtlos in den Sand schüttete, den restlichen Champagner weggoss und nicht einmal Sand mit dem Fuß über die Hinterlassenschaften häufte, als wäre ihm das alles plötzlich lästig, hatte sie nicht gewusst, ob sie froh oder enttäuscht sein sollte.
    Doch als er ihre Hand genommen und ihre Fingerspitzen geküsst hatte, hatte sich Ruth auf einmal doch als die Hälfte eines Doppels gefühlt. Eines Doppels, das vielleicht nur noch ein bisschen mehr Zeit brauchte, um ganz ineinander zu verschmelzen.

Vierzehntes Kapitel
    K aum war Ruth zurück in ihrem Zimmer, hockte sie sich auf den Boden und angelte nach dem Schuhkarton. Sie holte den Sehnsuchtsstein, ihren Feuerstein am Lederband, wieder hervor und band ihn sich um den Hals. Ohne Henry fühlte sie sich allein. Sie hatte Sehnsucht nach Geborgenheit und hoffte, dass der Stein diese Sehnsucht mit seiner Wärme stillte.
    Jetzt erst sah sie den Brief auf dem Boden. Jemand musste ihn während ihrer Abwesenheit unter der Tür durchgeschoben haben. Sie hob ihn auf, las ihren Namen, erkannte Horatios Handschrift – und war mit einem Mal wieder unendlich erschöpft. Männer, dachte sie, sind noch anstrengender als eine Herde triebwütiger Schafböcke.
    Achtlos steckte Ruth den Brief in die Tasche ihrer neuen Hose. Sie entkleidete sich rasch, schlüpfte in ihr Schlafshirt und dann ins Bett. Trost suchend umklammerte Ruth den Sehnsuchtsstein und sah durch das offene Fenster nach ihrem Stern, doch noch bevor sie ihn am Nachthimmel ausfindig machen konnte, war sie auch schon eingeschlafen. Sie träumte, träumte von einer Frau, die ein Baby im Arm hielt und ihre Wange an die Wange des schlafenden Säuglings schmiegte. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Und Ruth erkannte, dass die Frau vor einem brennenden Haus stand.
    »Schlaf, meine Rose, mein Röschen, schlaf, schlaf.« Die Frau küsste dem Kind sanft die Stirn, starrte auf sein Gesichtchen, als wolle sie sich jeden einzelnen Zug einprägen.
    Eine schwarze Frau stand daneben. Sie streckte die Arme nach dem Säugling aus, der sich leise regte und blubbernde Laute ausstieß. »Sie müssen sich beeilen, Misses«, sagte die Schwarze. »Geben Sie mir die Kleine.«
    Die Frau blickte wie erstarrt auf ihr Kind, bis die schwarze Frau näher trat und den Säugling langsam aus ihren Armen löste. »Gehen Sie, Misses, schnell.«
    Die Frau nickte mechanisch und blieb doch mit leeren Armen stehen, als wüsste sie nicht, wohin. Das Feuer brannte heller; hohe Flammen schlugen aus dem Dachstuhl. »Passen Sie gut auf sie auf, Eloisa«, flüsterte die Frau und strich dem Säugling noch einmal über die vom Schlaf geröteten Wangen. »Achte gut auf sie, versprich es mir.«
    »Bei meinem Leben verspreche ich es und beim Leben meiner Ahnen. Ich werde sie hüten und schützen, werde sie nicht nur erziehen, als wäre sie mein Kind, sondern so, wie es sich für ein weißes Mädchen geziemt.«
    »Es reißt mir das Herz heraus, dich alleinzulassen, meine Rose. Aber es geht nicht anders«, wisperte die Frau. »Verzeih mir. Bitte! Eines Tages werden wir uns wiedersehen, das verspreche ich dir.« Sie küsste das Kind noch einmal und umarmte auch die Schwarze. »Ich danke dir, Eloisa.«
    Die andere nickte. »Machen Sie sich keine Sorgen, Misses. Sie sind eine gute Mutter, die beste Mutter, die man sich denken kann. Und Sie lassen sie nicht allein, sondern sorgen dafür, dass sie leben kann.«
    »Ja, das sagt mir der Verstand, aber mein Herz ist so schwer.«
    »Gehen Sie jetzt, schnell!«
    Ein Mann kam näher. Er führte ein Pferd am Zügel. »Es wird allerhöchste Zeit, Misses. Wenn Sie jetzt nicht sofort aufbrechen, haben Sie keine Chance mehr. Sie werden gleich da sein.«
    Die Frau nickte, schwang sich auf das Pferd und ritt in die Nacht.
    Als Ruth erwachte, tastete sie sofort nach ihrem Stein. Sie atmete auf, als sie ihn fühlte. Sie ruft mich, dachte sie. Meine Großmutter ruft mich. Sie ist noch hier, ganz in der Nähe. Was immer Henry Kramer herausgefunden hat, es muss nicht stimmen. Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Und was immer Horatio vorhat, ich werde dabei keine Rolle spielen. Meine Mutter hat recht. Jeder ist sich selbst der Nächste.
    Sie sah zum Fenster und entdeckte am Horizont einen zartrosa Schimmer. Sie fühlte sich ausgeruht und frisch, als hätte sie viele Stunden geschlafen. Kurz entschlossen sprang sie aus dem Bett, packte ihre Sachen zusammen und verließ die Pension, ohne Horatio

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