Das Finale
Carluccis in der Hand und einen Schuss in die Wand abgegeben,
etwa in Kopfhöhe ebender Stelle, an der er vorher gestanden hatte.
»Sind Sie
wahnsinnig?«, brüllte Frauke ihn an. Sie war rasend vor Wut. Bei aller
Abneigung gegen das Verbrechertum, gegen die Gewalt, die von diesen Leuten
ausging, verabscheute sie Methoden dieser Art, auch wenn sie beim Überfall
durch Necmi Özden auf sie und Georg genauso reagiert hatte.
Schwarczer legte die
Waffe wieder an den Platz, an dem Carlucci sie hatte fallen lassen. »Das
erfordert die Situation«, sagte er mit einer erschreckend kalten Stimme. »Sie
kennen das.«
War das der Preis
dafür, dass er zu ihren Gunsten gelogen hatte, als sie nicht preisgeben wollte,
was sie nach Isernhagen geführt hatte?
Frauke sah ihm in
die dunklen Augen, die sie emotionslos musterten und versuchten, in ihrem
Mienenspiel zu lesen.
»Das hat
Konsequenzen«, sagte sie.
Schwarczer zuckte
nur die Schultern. »Notwehr«, sagte er lapidar. »Die Ermittlungen sind reine
Routine.«
Frauke beugte sich
zu Carlucci hinab. Blutiger Schaum hatte sich um die Lippen ausgebreitet. Die
Augen waren starr und blickten leblos an ihr vorbei. Für ihn kam jede Hilfe zu
spät.
***
Der weiße Fiat
Fiorino mit der Aufschrift »Clean Partner« verließ das Firmengelände im
Gewerbegebiet Hainholz.
Hanne Keltermann
hatte ein merkwürdiges Gefühl im Magen. Plötzlich überkamen sie Zweifel, ob es
richtig war, worauf sie sich eingelassen hatte. Nach der Zeit der
Kinderbetreuung hatte ihr Ehemann sich von ihr getrennt und ihr die
Verantwortung für die drei Kinder überlassen. Erich war bei VW in Hannover tätig gewesen und einer der ersten
Restrukturierungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Später hatte er seinen alten
Arbeitsplatz wieder einnehmen können, als es wieder aufwärtsging, allerdings
als Zeitarbeiter zu wesentlich schlechteren Konditionen. Er war bemüht, den
Unterhalt für die Kinder aufzubringen, aber manchmal klappte es nicht, weil in
seinem »neuen Leben« auch zwei hungrige Mäuler darauf warteten, gefüttert zu
werden. Selbst wenn Erich seinen Verpflichtungen immer nachgekommen wäre, hätte
das Geld nicht gereicht. Sie selbst hatte in ihren alten Beruf als
kaufmännische Angestellte nicht zurückkehren können. Mit fadenscheinigen
Begründungen hatte man sie abgelehnt.
»Hanne, als Frau
bist du entweder zu jung, weil du noch keine Kinder bekommen hast und die
Schwangerschaft droht, oder du hast Kinder, aber die könnten ja krank werden,
was genauso schlecht für den Arbeitgeber ist. Hast du diese Jahre aber
überwunden, bist du plötzlich zu alt, oder du hast den beruflichen Anschluss
verpasst«, hatte ihre Freundin einmal erklärt.
Hanne hatte
resigniert und den Job bei »Clean Partner« angenommen. Sie hätte sich früher
nicht träumen lassen, dass sie einmal als Reinigungskraft tätig werden würde.
Die Arbeit war schlecht bezahlt, sodass sie zwei Objekte übernommen hatte.
Morgens ab fünf Uhr schrubbte sie ein Bürogebäude in der Innenstadt, abends
hatte sie ein zweites Objekt, bei dem sie zur Objektleiterin aufgestiegen war.
Irgendwie erfüllte es sie mit Stolz, dass es »ihr« Gebäude war, für das sie mit
vier ausländischen Mitarbeiterinnen verantwortlich zeichnete. Früher waren es
sechs Kolleginnen gewesen, aber ihr Chef hatte ihr erklärt, dass man neue und
teurere Maschinen einsetzen würde, die es zu amortisieren galt und die es
ermöglichten, die gleiche Arbeit mit weniger Personal zu bewältigen. Auf die
neuen Maschinen warteten die Frauen bis heute.
Vor einigen Tagen
hatte sie ein Mann angehalten, kurz nachdem sie das Firmengelände an der
Meelbaumstraße verlassen hatte. Er hatte sich als Mitarbeiter der ersten Stunde
und Vertrauter von Josef Beutel vorgestellt. Jeder in Hannover kannte Josef
Beutel, der es vom Fensterputzer zum vielfachen Millionär gebracht hatte.
»Clean Partner« war eines seiner Unternehmen.
Der Mann hatte sie
angesehen. »So wie Sie hat unser Chef auch angefangen. Kaum einer weiß es noch,
aber er ist mit Schrubber und Besen durch die Gänge gezogen. Wissen Sie
eigentlich, welch verantwortungsvolle Aufgabe man Ihnen übertragen hat? Dort,
wo Sie jetzt das Kommando führen, hat Josef begonnen. Nun wird er
fünfundsiebzig. Und ist immer noch jeden Tag im Büro, um die Arbeitsplätze zu
erhalten. Sie haben keine Vorstellung, wie sehr es Josef in den Fingern juckt,
wie gern er, statt am Schreibtisch zu sitzen, wieder einmal sauber machen
würde. Wir,
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