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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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geradliniges Künstlerhandwerk, wagten nie zu viel. Sie blieben vorläufig und ausschnitthaft, tasteten sich vorsichtig an die Welt des Tals heran, statt sich ihrer herrisch zu bemächtigen.
    Schnell gingen so den Spöttischen und den Angsterfüllten die Angriffsflächen aus. Die ersten Tage, als die Anwesenheit Greiders im Dorf noch neu und fremd war, mochten sie immer wieder einmal um ihn herumstreichen, in scheuem Bogen oder provozierender Nähe, allein oder in kleinen Grüppchen; hie und da ließen sie eine schneidende Bemerkung untereinander fallen, die gerade laut genug gesprochen war, dass sie seine Ohren noch erreichte. Greider aber schien sie nicht zu hören. Und da nichts, was er tat, Anlass gab zu Hohn oder Furcht, die sich aus mehr speisen hätten wollen denn sturem Prinzip, verstummten diese Stimmen bald.
    Und noch jemand schien langsam ein widerstrebendes Vertrauen in Greider zu fassen: die Söhne des Brenner Bauern. Jede Stunde hatte anfangs den ein oder anderen von ihnen sein Weg in die Nähe von Greider geführt, und so aufreizend langsam waren sie dann vorbeigeritten oder um eine Ecke geschlendert, dass ihnen offenbar nicht groß daran gelegen war, den Grund ihrer Anwesenheit hinter einem Vorwandzu verstecken: Sie wollten darüber wachen, ob der Fremde ihnen nicht doch einen Anlass böte, ihn aus dem Tal zu weisen – oder vielleicht noch ungastlicher mit ihm zu verfahren –, und sie wollten ihn wissen lassen, dass er in ihrem Revier keine verheimlichten Schritte tun konnte. Nur ein sehr genauer Beobachter hätte bezeugen können, dass Greider die regelmäßigen Besuche dieser Männer überhaupt bemerkte. Dass seine Augen da jedes Mal auf ihrem häufigen Weg vom in Angriff genommenen Motiv zur entstehenden Skizze einen kleinen, scharfen Abstecher machten, um einen flüchtigen Blick auf den jeweiligen Brenner-Sohn zu erhaschen. Und auch der genaueste Beobachter hätte sich nicht trauen können zu schwören, dass, als diese Visiten seltener wurden – sich erst auf jede zweite Stunde beschränkten, schließlich nur noch ein, zwei Mal am Tag vorkamen –, jedes Mal, wenn so ein Besuch ausblieb, der nach den Intervallen des vorigen Tages noch hätte erscheinen sollen, der Hauch eines Lächelns um Greiders Lippen spielte.
    Es war freilich nicht so, dass das Dorf nach zwei Wochen dem Fremden schon freundlich gesonnen war. Man sprach ihn nicht an, außer in den seltenen Fällen, wo jemand es doch für nötig befand, ihm das Niederlassen an einem gewissen Platz zu untersagen – Aufforderungen, denen er stets ohne Murren nachkam. Und man hätte es nicht geduldet, wenn er einer Person oder deren Eigentum zu nahe gekommen wäre, sei es wahrhaftig oder in seinen Bildern. Da er dies aber so beharrlich vermied, wurde er für die Menschen des Tals immer unsichtbarer. Sie waren zu beschäftigt mit ihren alltäglichen Lasten, um mit ihrer Aufmerksamkeit verschwenderisch zu sein. Und so drang es auch nicht in ihr Bewusstsein, als Greider nach und nach begann, seine Erkundung und Eroberung immer weiter auszudehnen.
    Die Bilder, die auf seinem Skizzenblock entstanden, wurdenausführlicher. Sie erfassten nicht mehr nur einzelne Details, sondern ganze Ansichten – hier ein Blick auf die Berge, die sich hinter dem Dorf erhoben, dort eine klapprige Scheune oder ein Gehöft in all seiner trägen Pracht. Und irgendwann, da niemand Einspruch erhob dagegen, dass Greider nun so viel mutiger nach dem griff, was das Hochtal zu bieten hatte, wagte er es endlich, den ersten Menschen zeichnend einzufangen.
    Greider hatte schon zwei, drei Tage immer wieder denselben Hof am Rande des Dorfs aufgesucht, sich auf einem Stein am gegenüberliegenden Wegrand niedergelassen und verschiedene Ausschnitte vom Anblick des Anwesens mit fleißiger Genauigkeit festgehalten. Damit hatte er die Aufmerksamkeit eines kleinen Jungen geweckt, der im Hof hinter dem Zaun aus dicken, ungehobelten Querbalken spielte. Scheu und verstohlen hatte der immer wieder den Fremden beäugt, hatte zunächst nur dann gewagt, einen schüchternen Blick in Richtung des unbekannten Manns zu werfen, wenn er sich vorher bis fast an die Schwelle zum Hauseingang zurückgezogen hatte – oder später, wenn er sich hinter dem Trog des Brunnens, dem Tor zur Scheune verbergen konnte, stets bereit, sich sofort in Sicherheit zu bringen, falls der Fremde seine Neugier bemerken und missbilligen sollte. Anfangs tat Greider so, als würde er den Bub gar nicht wahrnehmen, ließ sich

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