Das Fjordland: Elfenritter 3 - Roman
überprüfte bei jedem die Waffen. Sie hatte ihnen verboten, Rapiere oder Säbel mitzunehmen. Die langen, sperrigen Waffen würden sie im Tunnel nur behindern, und im dichten Handgemenge, das sie zu erwarten hatten, waren sie ebenfalls hinderlich. Jeder hatte sich deshalb so viele Pistolen in den Gürtel gesteckt, wie er aufzutreiben vermochte, dazu Messer und kurze Beile. Wären nicht ihre Rüstungen gewesen, so sähen sie wie eine Bande von üblen Strauchdieben aus.
Auch hatte jeder von ihnen eine breite, weiße Schärpe angelegt, damit ihre Kameraden sie gut erkennen konnten, wenn der Sturm auf die Stadt ein Erfolg wurde. So würde es dann im Eifer des Gefechts nicht zu tragischen Verwechslungen kommen.
»Na, Raffael. Wie stehen die Wetten für unsere Unternehmung? « Michelle zupfte ihre Schärpe zurecht und sah ihn verschmitzt lächelnd an. Sie schien gar keine Angst vor dem Marsch durch den Tunnel zu haben.
»Wir werden am Abend alle reiche Ritter sein.«
»Dann habe ich ja zum ersten Mal in meinem Leben auf die richtige Seite gesetzt.«
Einige lachten. Den meisten war nicht danach zumute.
Michelle schritt die Reihe bis zum Ende ab. Jeder Dritte von ihnen trug eine Laterne.
Als sie auch mit dem letzten Ritter gesprochen hatte, hob sie die Hand. Schweigend begann ihr Marsch in die Dunkelheit.
Es roch nach Schimmel und feuchter Erde. Im gelben Licht der Laternen konnte jeder deutlich sehen, wie morsch die Balken waren, die die Decke über ihnen abstützten. Der Boden war mit Pfützen gesprenkelt. An manchen Stellen hatte das
Wasser tiefe Furchen in die Tunnelwände gegraben. Dort war der Gang mit Brettern verschalt.
Dumpf hörten sie den Kanonendonner über ihren Köpfen. Manchmal stürzten kleine Lehmklumpen von der Decke. Als der Tunnel sich nicht mehr weiter senkte, erreichten sie eine große Pfütze.
Raffael ging etwa in der Mitte der Kolonne. Esmeralda hielt sich vor ihm. Als sie die Pfütze sah, blieb sie stehen. »Wir müssen weiter«, raunte er ihr zu. Doch sie war wie versteinert. Sie hielt ihre Laterne hoch und starrte auf das Wasser.
»Weiter!«, drängte jemand hinter ihnen. Die Kolonne drohte zu zerreißen.
»Du siehst doch, dass nichts geschieht!«, flüsterte Raffael. »Bitte geh!«
»Ich … ich kann nicht. Ich …«
Raffael hatte mit Esmeralda in einem Dutzend oder mehr Gefechten gekämpft. Ihr Mut stand außer Frage. Aber für jeden gab es einen Punkt, an dem er zerbrach … Esmeralda war ihm sehr nahe gekommen.
Er drängte sich an ihr vorbei, nahm ihr die Laterne ab. »Halt dich fest. Schließ die Augen und folge mir.« Er sprach leise und einfühlend und legte die freie Hand auf ihre. »Weißt du noch, der Sommer, als wir mit der Windfänger in Iskendria waren? Damals habe ich meinen Meister gefunden. Ich bin nie mehr in meinem Leben bei einer Wette derart hereingelegt worden …«
Raffael war froh, dass die anderen nicht mehr drängten. Er ging weiter, und seine Löwenschwester folgte ihm. Den ganzen Weg über erzählte er leise Geschichten von hellen Sommertagen und von Reisen auf dem weiten Meer. Manche erfand er. Andere hatten sie tatsächlich erlebt.
Esmeralda hielt die Augen geschlossen. Und selbst er fühlte
sich besser in der stickigen Unterwelt, solange er seinen Geschichten lauschte.
Das Wasser stieg langsam höher. Nach einer Weile reichte es ihnen bis zu den Hüften. Es war eisig. Immer schwerer fiel es ihm, den Zauber der längst vergangenen Sommertage in Worte zu fassen. Seine Beine waren taub von der Kälte. Das Wasser war wie ein Vampir, nur dass es kein Blut saugte, sondern Wärme.
Endlich stieg der Tunnel wieder an. Sie konnten nicht mehr weit von der östlichen Bastion entfernt sein. Es ging jetzt sehr steil nach oben. Und jedes Mal, wenn über ihnen eine eiserne Kanonenkugel in die Erdwälle schlug, spürten sie den Treffer bis in die Tiefe hinab. Immer häufiger rieselte Erde aus den Brettern, mit denen der Tunnel verschalt war.
Raffael blickte zurück. Esmeralda hielt die Augen noch immer geschlossen. Ihre Lippen waren graublau, das Gesicht aschfahl von der Kälte. Ihr blieb es erspart, die eingebrochenen Verschalungen zu sehen.
Endlich schlossen sie wieder zu den anderen auf. Michelle erwartete sie.
»Wo wart ihr? Wir können nur gemeinsam losschlagen. Was ist geschehen?«
»Ich konnte nicht ins Wasser«, sagte Raffael.
»Das ist nicht …«, begehrte Esmeralda auf.
»Darüber reden wir ein anderes Mal. Prüft eure Pistolen! Zwanzig Schritt den
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