Das Flammende Kreuz
sich der Finger bewegt. Mmhmmm...«
Schließlich pustete ich die Kerze aus, richtete mich auf und dehnte leise stöhnend meinen Rücken.
»Und«, sagte Roger betont unbeschwert, »wie lautet Ihr Urteil, Frau Doktor? Soll ich mir einen Blindenstock besorgen?« Er wedelte die dahintreibenden Rauchwölkchen der gelöschten Kerze beiseite und bemühte sich redlich um Beiläufigkeit - nur die leichte Anspannung in seinen Schultern verriet ihn.
Ich lachte.
»Nein, du brauchst vorerst noch keinen Blindenhund und auch keine Brille. Apropos Brille - du sagst, du hast noch nie einen literarischen Sehtest gemacht. Das heißt aber, dass du Sehtests kennst, ja? Hast du als Kind eine Brille getragen?«
Er dachte stirnrunzelnd nach.
»Aye, das habe ich«, sagte er langsam. »Oder besser -« Ein schwaches Grinsen erschien in seinem Gesicht. »Ich hatte eine Brille. Oder zwei oder drei. Als ich sieben oder acht war, glaube ich. Sie hat mich furchtbar gestört, und ich habe Kopfschmerzen davon bekommen. Also habe ich sie ständig im Bus vergessen, oder in der Schule oder auf den Felsen am Fluss... Ich kann mich nicht erinnern, sie je länger als eine Stunde am Stück getragen zu haben, und nachdem ich die dritte Brille verloren hatte, hat mein Vater aufgegeben.« Er zuckte mit den Achseln.
»Ehrlich gesagt, hatte ich nie das Gefühl, eine Brille zu brauchen.«
»Tja, das brauchst du auch nicht-jetzt nicht mehr.«
Beim Klang meines Tonfalls sah er verwirrt zu mir herab.
»Was?«
»Du bist links etwas kurzsichtig, aber nicht so sehr, dass es dir echte Probleme bereiten würde.« Ich rieb mir den Nasenrücken, als würde ich selbst von einer Brille gekniffen. »Lass mich raten - du warst in der Schule gut beim Fußball und beim Hockey, aber nicht beim Tennis.«
Er lachte, und seine Augenwinkel legten sich in Falten.
»Tennis? An der Volksschule in Inverness? Das war für uns ein Sport für die Weichlinge aus dem Süden. Aber ich verstehe, was du meinst - nein, du hast Recht, ich konnte gut Fußball spielen, aber beim Baseball war ich eine Niete. Wieso?«
»Du besitzt kein räumliches Sehvermögen«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist das irgendjemandem aufgefallen, als du ein Kind warst, und man hat versucht, es mit Prismengläsern zu korrigieren - aber als du sieben oder acht warst, war es wahrscheinlich schon zu spät«, fügte ich hastig hinzu, als sein Gesicht jeden Ausdruck verlor. »Wenn das funktionieren soll, muss man es sehr früh machen - vor dem fünften Lebensjahr.«
»Kein - räumliches Sehen? Aber kann denn nicht jeder...? Ich meine, meine Augen funktionieren doch beide, oder?« Er machte ein etwas verwirrtes Gesicht. Er blickte auf seine Handfläche hinab und schloss erst ein Auge, dann das andere, als könnte er zwischen den Linien seiner Hand eine Antwort finden.
»Mit deinen Augen ist alles in Ordnung«, versicherte ich ihm. »Es ist nur so, dass sie nicht zusammen arbeiten. Das ist eigentlich ein recht verbreitetes Phänomen - und vielen Leuten ist gar nicht klar, dass sie es haben. Aus irgendwelchen Gründen lernt nur bei manchen Leuten das Gehirn nicht, die Bilder der beiden Augen zu einem dreidimensionalen Bild zusammenzufügen.«
»Ich sehe nicht dreidimensional?« Er kniff die Augen fest zusammen und sah mich an, als erwartete er, mich plötzlich platt mit der Wand verschmelzen zu sehen.
»Na ja, ich habe weder die Ausstattung eines Augenarztes -«, ich wies mit einer Handbewegung auf die gelöschte Kerze, den Holzlöffel, die gezeichneten Figuren und die Stöckchen, mit denen ich mir ausgeholfen hatte, »noch bin ich entsprechend ausgebildet. Aber ich bin mir einigermaßen sicher, ja.«
Er hörte schweigend zu, während ich ihm erklärte, was in meiner Macht lag. Was die Schärfe anging, schien seine Sehkraft einigermaßen normal zu sein. »Und sehr wahrscheinlich kannst du ganz normal schießen lernen; die meisten Männer, die ich sehe, schließen beim Schießen sowieso ein Auge. Aber es könnte sein, dass es dir Probleme bereitet, bewegte Ziele zu treffen. Du kannst zwar sehen, worauf du zielst - aber ohne räumliches Sehvermögen
kannst du möglicherweise nicht genau bestimmen, wo es sich befindet, um es dann zu treffen.«
»Verstehe«, sagte er trocken. »Wenn es also zum Kampf kommt, verlasse ich mich besser auf die gute, alte Prügelei, ja?«
»Meiner bescheidenen Erfahrung mit schottischen Auseinandersetzungen nach«, sagte ich genauso trocken, »sind die meisten Kämpfe sowieso
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