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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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spürte, wie er Atem holte und ihn dann anhielt. Dann geschahen drei Dinge so rasch, dass es gleichzeitig zu sein schien. Das Gewehr ging mit einem ohrenbetäubenden Pfwuhm! los, am Boden unter dem Baum wurde eine Wolke trockener Eichenblätter aufgewirbelt, und fünfzehn Truthähne verloren den Verstand und rannten unter hysterischem Gegacker geradewegs auf sie zu.
    Die Truthähne erreichten das Gebüsch, erblickten Roger und erhoben sich mit panisch schlagenden Flügeln wie fliegende Fußbälle in die Luft. Roger duckte sich, um einem der Vögel auszuweichen, der zwei Zentimeter an seinem Kopf vorbei aufstieg, doch sogleich prallte ihm ein anderer vor die Brust. Er schwankte rückwärts, und der Truthahn, der sich an sein Hemd klammerte, nutzte die Gelegenheit, ihm flink die Schulter hinaufzulaufen und sich abzustoßen, wobei er Rogers Hals mit seinen Klauen kratzte.
    Das Gewehr flog durch die Luft. Brianna fing es auf, fischte eine Patrone aus der Schachtel an ihrem Gürtel, und rammte gerade grimmig die Ladung in den Lauf, als der letzte Truthahn auf Roger zurannte, einen Haken schlug, sie erblickte, einen Haken in die andere Richtung schlug und schließlich unter Schreckensgegacker zwischen ihnen hindurchzischte.
    Sie fuhr herum, nahm ihn aufs Korn, als er vom Boden abhob, erwischte den schwarzen Fleck, dessen Silhouette für den Bruchteil einer Sekunde vor dem leuchtenden Himmel erschien und schoss ihm in die Schwanzfedern. Er fiel wie ein Sack Kohlen zu Boden und landete vierzig Meter weiter mit einem hörbaren Plumps.
    Sie stand ein paar Sekunden still, dann ließ sie das Gewehr sinken. Roger
starrte sie mit offenem Mund an und presste sein Hemd gegen die blutigen Kratzer an seinem Hals. Sie lächelte ihn an, wenn auch ein wenig schwach, und spürte, wie ihre Hände auf dem hölzernen Kolben schwitzten und ihr Herz verspätet loshämmerte.
    »Meine Güte«, sagte Roger tief beeindruckt. »Das war aber nicht nur Glück, oder?«
    »Na ja... zum Teil«, sagte sie, um Bescheidenheit bemüht. Es gelang ihr nicht, und sie spürte, wie sich ein Lächeln über ihr Gesicht breitete. »Vielleicht zur Hälfte.«
    Roger ging ihre Beute holen, während sie das Gewehr wieder reinigte. Er kam mit einem guten Zehnpfünder zurück, dessen Hals schlaff herunterhing und blutete wie ein angestochener Wasserschlauch.
    »Was für ein Riese«, sagte er. Er hielt ihn auf Armeslänge von sich weg, damit er ausbluten konnte, und bewunderte das schrille Rot und Blau des kahlen, warzigen Kopfes und des herabhängenden Kehllappens. »Ich glaube, ich habe noch nie einen echten Truthahn gesehen, außer gebraten auf einer Platte mit Kastanienfüllung und Röstkartoffeln.«
    Er blickte mit großem Respekt von dem Truthahn zu ihr und deutete auf das Gewehr.
    »Das war ein toller Schuss, Brianna.«
    Sie spürte, wie ihre Wangen vor Stolz rot anliefen, und verkniff sich nur mit Mühe ein: »Ach, Mensch, das war doch nichts Besonderes.« Stattdessen begnügte sie sich mit einem schlichten: »Danke.«
    Sie wandten sich erneut heimwärts. Roger trug den blutenden Kadaver, den er nach wie vor ein Stück von sich weg hielt.
    »Du schießt doch auch noch gar nicht so lange«, sagte Roger, immer noch beeindruckt. »Wie lange ist das jetzt, sechs Monate?«
    Sie machte seinen guten Eindruck von ihrer Zielsicherheit nur ungern zunichte, lachte aber, zuckte mit den Achseln und sagte ihm dennoch die Wahrheit.
    »Wohl eher sechs Jahre. Eigentlich sogar eher zehn.«
    »Häh?«
    »Papa - Frank - hat mir das Schießen beigebracht, als ich elf oder zwölf war. Mit dreizehn hat er mir mein erstes Gewehr geschenkt, und als ich fünfzehn war, hat er mich zum Tontaubenschießen mitgenommen, oder im Herbst am Wochenende auf die Tauben- und Wachteljagd.«
    Roger betrachtete sie voll Interesse.
    »Ich dachte, Jamie hätte es dir beigebracht; ich hatte ja keine Ahnung, dass Frank Randall etwas für den Schießsport übrig hatte.«
    »Na ja«, sagte sie gedehnt. »Ich weiß auch gar nicht, ob es so war.«
    Er hob fragend seine schwarzen Augenbrauen.
    »Oh, er konnte schon schießen«, versicherte sie ihm. »Er war Soldat im Zweiten Weltkrieg. Aber er selbst hat nie viel geschossen; er hat es mir nur
gezeigt und mir dann zugesehen. Er hat in seinem ganzen Leben kein Gewehr besessen.«
    »Das ist ja merkwürdig.«
    »Nicht wahr?« Sie rückte absichtlich dichter an ihn heran und berührte seine Schulter, so dass ihrer beider Schatten erneut verschmolzen; er sah jetzt wie

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