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Das Fliederbett

Das Fliederbett

Titel: Das Fliederbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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sagte Lola. »Kennavara, wir sind in der Nähe der finnischen Lappmark. Wagen wir es, auf die Karte zu gucken, oder lassen wir es lieber?« Wir wagten es; Gott, wie lange war das her. Ganz oben am nördlichen Eismeer und vierzig Grad Kälte.
    Wir machten Pinkelpausen, und jetzt spürten wir die Kälte fast nicht, so als wenn man in einer überhitzten Sauna friert. Lola hockte sich ungeniert hin und ließ ihren Strahl ein tiefes Loch bohren. Björn wollte ein großes »F« in den Schnee schreiben, aber es reichte nicht aus. Ich war noch etwas gehemmt und drehte mich diskret zur Seite.
    Dann fuhren wir weiter. Mit ungefähr zehn Grad plus im Wagen. Lola und ich legten uns unter die Wolldecken.
    »Leg die Arme um mich«, flüsterte sie. »Ich erfriere.«
    Ich faßte ihre Finger in den Fäustlingen an — sie waren eiskalt, und ich begann sie zu massieren.
    »So kalt bin ich am ganzen Körper«, sagte sie. »Es gibt kein einziges warmes Pünktchen in mir.«
    Ich legte mich halb auf sie, um ihr meine Plusgrade zu geben.
    Sie fing an zu zittern. Ich rieb mit den Händen an ihren
    Schenkeln auf und ab, um sie etwas elektrisch zu machen.
    »Wir sind bald am Ziel«, sagte Björn. »Noch zehn Kilometer.«
    Kennavara, ein Dorf mit einer Pension, Versammlungshaus und vier, fünf Häusern. Wir wunderten uns immer, wo das Publikum am Abend herkam, und erfuhren, daß man im Auto, auf Schiern oder mehrere Kilometer zu Fuß kam, um die Vorstellungen zu sehen.
    Wieder der Wildgeruch. Wieder der schnelle Umschlag von Winterkälte in muffige Wärme. Wieder schüchternes Lächeln und eine Sprache, die eine Mischung aus Finnisch, Schwedisch und Lappisch war. Wieder mißtrauisches und doch freundliches Lächeln. Nie eine einzige Frage; wir wurden in diesen Gegenden als etwas seltsam Überirdisches betrachtet. Oder vielleicht als das Gegenteil.
    Die alte Lappin stand in der Küche und klopfte Fleisch. Sie trat einen Schritt zurück, starrte uns an und nahm wieder den gewohnten Gesichtsausdruck an.
    »Wir sind vom Theater«, sagte Björn. »Wir haben wegen Zimmern geschrieben.«
    Sie antwortete nicht, lächelte nur und wies uns zurecht. Wir schleppten unser Gepäck durch ein Labyrinth von Korridoren, und je weiter wir kamen, desto schwerer wurde uns das Atmen.
    »Die besten... die besten Zimmer«, sagte die Wirtin.
    Wir dankten und erklärten uns mit ihren Zimmern zufrieden. Wieder drei Einzelzimmer, aber jetzt hatten wir keine Angst mehr vor ihnen. Wir grinsten uns kurz an und verschwanden mit unseren Koffern. Wie die Zimmer aussahen, ob sie komfortabel waren oder Aussicht hatten — das war alles unwesentlich. Wir gingen geradewegs auf die Betten zu und befühlten sie. Baten darum, geweckt zu werden und schliefen. Wir waren neun Stunden unterwegs gewesen und todmüde.
    Wir wurden geweckt, gingen zum Versammlungshaus hinüber und halfen beim Aufstellen der Dekorationen. Holten unsere Schminke hervor und machten uns für die Abendvorstellung fertig. Wieder eine Vorstellung, und jetzt lächelten unsere Augen echt hinter den Repliken. Endlich. Und wir liefen in unsern Kostümen umher und spielten die französische Komödie >Drei<; mit jeder Betonung versprachen wir uns eine neue Nacht.
    Klatschender Applaus und ein Publikum, das in die Kälte und die weiße Nacht hinaus verschwand. Ein Vorsteher, der sich bedankte und für die Vorstellung bezahlte. Immer ein unscheinbarer und dienernder Vorsteher.
    Aber nicht mehr die Angst vor dem geschlossenen Raum, vor der Weite draußen. Kein Grauen mehr vor all dem Toten in der winterlichen Lappmark.
    Jetzt gab es nur uns drei, und wir konnten viel Leben miteinander schaffen. Als wir uns abschminkten und dadurch wir selbst wurden, lachten wir zum erstenmal richtig befreit.
    »Heute abend«, flüsterte Lola.
    »Doppelt so schön und herrlicher als das Doppelte des Doppelten«, sagten wir.
    »Ich schaff es nicht bis nach Hause«, sagte Lola. »Ich schaffe es nicht, schaffe es nicht.«
    »Es ist ja nur quer über die Straße.«
    »Das ist zu weit... für mich ist kein Weg kurz genug.«
    Ihre Stimme jubelte, sie zog ihr elegantes Kostüm aus und schlug einen ausgelassenen Trommelwirbel auf ihrem Popo. Wir lachten und beeilten uns, gejagt von den Wölfen, den Wildschweinen — den Trüffelsuchern.
    Durch das Fenster des Umkleideraums konnten wir unseren Gasthof sehen, und wir hatten zum erstenmal das Gefühl, ein Zuhause gefunden zu haben.
    Wir liefen durch den tiefen Schnee quer über die Straße, und wir

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