Das Fliederbett
lächelte. »War die Reise gut?« Er hievte ihre Tasche auf den Rücksitz und bat sie einzusteigen. Erst jetzt entdeckte er, daß sie lange Hosen anhatte. Nun ja. Die trugen heutzutage alle Mädchen. Er schloß die Tür hinter ihr, ging herum und setzte sich hinter das Lenkrad.
Sie war froh, daß er nett aussah. Sie lugte heimlich zu ihm hin. Er hatte einen lieben Mund, das sah sie sofort. Die Hände auf dem Lenkrad sahen auch lieb aus. Sie seufzte ein bißchen. Es war ein schönes Gefühl, wenn Leute lieb waren.
Auch er warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf sie. Die Scheibe war heruntergekurbelt, und der Wind spielte in ihren langen Haaren. Süß war sie schon. Ihre Stupsnase ließ sie wie ein kleines Kind aussehen. Im Haar war überhaupt keine Ordnung, es wirkte so zerrauft und sonnengebleicht, daß man meinen könnte, sie käme direkt von der Westküste. Daß sie Gudrun eine wirkliche Hilfe werden würde, vermochte er nur schwer zu glauben. Sie schien überhaupt nicht in eine Küche hineinzupassen, am allerwenigsten mit dem gestreiften Baumwollhemd.
Aber Pastor Henningsen hatte unrecht gehabt! Sie paßte ganz ausgezeichnet dorthin. Im blauen Kleid und weißer Schürze wirkte sie außerordentlich praktisch, und sie kochte Essen und machte sauber, mindestens so sorgfältig wie Gudrun. Schließlich schämte sich Pastor Henningsen seiner übereilten Schlußfolgerungen.
Er beschloß, in der Predigt am Sonntag besonders hervorzuheben, daß man nie nach dem ersten Anschein urteilen solle. Am Samstag nachmittag saß er eifrig am Schreibtisch und schrieb, während er dann und wann nach geeigneten Zitaten in der Bibel blätterte. Der Haufen beschriebener Papierbogen wuchs auf dem schwarzen Schreibtisch. Da klopfte es an die Tür, und Gudrun kam herein.
»Laß dich von mir nicht stören«, sagte sie und zog eine Schublade aus dem Schreibtisch heraus. »Ich wollte weggehen und die Lose fürs Rote Kreuz verkaufen. Wo habe ich denn diese Liste?«
Sie fand sie und schob die Lade mit einem Knall wieder zu.
»Kommst du nach Hause, so daß ich heute nachmittag die Grundleine auslegen kann?« fragte er. Er widerstand seinem Impuls, die Hand auf ihre runde Hüfte zu legen. Sie hatte ein helles Kleid an und sah unwiderstehlich frisch aus.
Sie blickte ihn bekümmert an.
»Ich wollte bis zum Fischereiplatz herunterradeln«, sagte sie. »So schnell komme ich bestimmt nicht wieder.«
Er versuchte, kein enttäuschtes Gesicht zu machen.
»Es ist so schön draußen«, sagte er. »Und es würde solchen Spaß machen, die Leine auszuprobieren.«
Gudrun nickte energisch.
»Du mußt Marianne mitnehmen«, sagte sie. »Ich bin sicher, daß sie rudern möchte. Ich habe keine Ruhe, bevor ich diese Lose losgeworden bin.«
Sie radelte auf dem schmalen Sandweg zum Fischereihafen Osterö. Es war ein beschwerlicher Weg, die Sonne schien ihr ins Gesicht, und die Räder wollten die ganze Zeit rutschen. Blinzelnd sah sie über die Felder hinaus, auf denen das Gras in den Heureitern trocknete. Bauer Nielsson konnte wirklich mit dem Trockenwetter zufrieden sein.
Als sie an die Abzweigung nach Sofielund kam, hielt sie einen Augenblick zögernd an. Sollte sie einen Umweg dorthin machen? Die kleine Kate war den Sommer über an einen Künstler vermietet. Vielleicht wollte er ein paar Lose zeichnen. Eine Ruhepause wäre schön, denn ihr war schrecklich warm, und sie hatte erst die Hälfte des Weges nach Österö hinter sich.
Es war kühl auf dem Waldpfad zwischen den hohen Tannen und schön, von dem blendenden Sonnenlicht wegzukommen. Die Büschel saßen voller bläulicher Beeren. Hierher würde sie Marianne in der Blaubeerenzeit mitnehmen, noch war es zu früh.
Der Pfad endete, und sie stand mitten im Wald vor einer Wiese. Hinter einigen knorrigen Apfelbäumen sah sie die lindgrüne Kate. Es säuselte geheimnisvoll in den Baum Wipfeln, das Gras war hoch und voller Gänseblümchen und Kornblumen. Sie lehnte das Rad gegen den Holzschuppen und ging über die Wiese zum Häuschen.
Ein kleiner Vogel hüpfte in der hohen Linde am Häuschen hin und her. Sie betrachtete ihn, während sie anklopfte, und wurde von Verzauberung ergriffen. Die Hummeln summten in den hohen Glockenblumen an der Wand, es klang schläfrig im Sonnenschein. Dreimal klopfte sie. Da sah sie, daß die Tür abgeschlossen war, der Schlüssel hing an einem Nagel daneben. Es war nicht zu ändern. Sie würde an der Pumpe unter der Eiche etwas Wasser trinken und dann nach Österö
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