Das Fliederbett
Mette kamen beinahe Tränen in die Augen. Sie konnte Lars-Erik so gut leiden. Genaugenommen war Rakel recht herzlos. Jemand müßte einmal ein ernstes Wort mit ihr reden. Wäre sie vielleicht die Rechte? Sie könnte es wohl versuchen. In aller Freundschaft natürlich.
Es bewegte sich etwas im Flieder. Die fast ausgeblühten Dolden strömten einen so schweren Wohlgeruch aus, daß ihr fast der Kopf schmerzte. Jetzt bewegte es sich wieder. Im gleichen Augenblick wehte der Wind ein paar Zweige zur Seite, und ihr wurde mitten im Sonnenschein kalt: Ein Junge stand da und äugte nach ihr. Sie wollte ihn eben anschreien, als sie merkte, daß etwas komisch war: nun sah sie auch, was. Er hatte sie heruntergezogen und war nackt. Er hielt diesen da, der grotesk groß und rot war, und bewegte die Hand hin und her, hin und her.
Mette war wie versteinert. Sie hatte keine Ahnung davon, daß dieser da so aussehen könnte. Sicher war er mißgebildet oder aber pervers. Eklige Alte machten so etwas, hatte sie gehört. Aber solche Ekel wären gefährlich. Endlich löste sich ihre Erstarrung, sie sprang auf die Füße, raste den Weg hinauf zum grünen Haus und hinein in das Schlafzimmer, wo Rakel gerade dabei war, Lottas Windeln zu wechseln.
»Rakel«, rief sie atemlos, »ein ekliger Kerl steht im Flieder.« Rakel legte Lotta in den Korb.
»Wo sollte er denn sonst stehen?« fragte sie ruhig.
Mette lehnte sich keuchend gegen den Türrahmen. »Es ist wahr«, sagte sie heftig, »ich spaße nicht. Es stand ein ekliger Alter im Flieder. Auf Ehrenwort!«
Rakel wurde leicht irritiert. Sie begann Lottas Kleider zusammenzulegen.
»Wie sah das Ekel aus?« fragte sie. »Wir sollten vielleicht sein Signalement der Polizei geben.«
Mette fühlte Erleichterung. Endlich glaubte Rakel ihr. Sie runzelte die Stirn und grub in ihrem Gedächtnis.
»Ich weiß nicht richtig«, sagte sie. Da fiel ihr ein Detail ein. »Er hatte Badehosen«, sagte sie eifrig, »rot aus Nylon.«
Rakel stellte das Zellstoffpaket in den Schrank. »Siehst du«, sagte sie, »immerhin etwas. Na, und sein Alter, wie würdest du das einschätzen?«
Mette errötete plötzlich.
»Nicht so alt«, meinte sie.
Rakel ging zum Spiegel und begann, ihr langes schwarzes Haar zu bürsten. Um ihre Lippen spielte die Ahnung eines Lächelns. »Vielleicht war er in deinem Alter«, sagte sie freundlich.
Mette nickte.
»Ich glaube«, flüsterte sie.
»Der eklige Kerl war vielleicht ein Schuljunge«,, sagte Rakel, »ein gewöhnlicher, netter Schuljunge, der im Gebüsch herumschlich, um ein süßes Mädchen zu sehen, das zu allem Überfluß noch nackt war.«
Mette schüttelte den Kopf in heftigem Protest.
»Er hatte diesen da herausgeholt«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Er machte... Er war dabei... Oh, Rakel«, rief sie zum Schluß, außer sich über Rakels Mangel an Interesse, »der war so groß, du wirst es mir um nichts in der Welt glauben!«
Rakel steckte das Haar auf. Sie betrachtete ihr Spiegelbild. »Armer Junge«, sagte sie träumend. »Ich hätte dortsein sollen. Da hätte er wahrhaftig nicht dazustehen und auf die Erde zu spritzen brauchen.«
Mette starrte sie an.
»Du machst dich lustig«, sagte sie zum Schluß. Ihre Stimme war dem Weinen nahe. Sie ging zum Wickeltisch und fing an, mit den Büchsen und Flaschen herumzuhantieren. Sie wendete Rakel, die immer noch die Bürste in der Hand hielt, den Rücken. Ein paar Grashalme saßen festgeklebt auf ihrem nackten Hintern. Rakel wurde warm ums Herz.
»Kleine Unschuld«, sagte sie leise, »meine Jungfrau mit Gras im Haar... oder auf jeden Fall auf dem Hintern.«
Mette drehte sich heftig um. In ihrer Bewegung lag etwas Wachsames.
Rakel sah plötzlich die Bürste in ihrer Hand. »Was denkst du?« fragte sie und sah von der Bürste zu Mette.
»Nichts«, sagte Mette hastig, »gar nichts.«
»Aber ich denke etwas«, sagte Rakel. »Hier gehst du, ein süßes und hübsches Mädchen von siebzehn Jahren, umher wie die grünste Unschuld. Dabei solltest du vollauf mit Liebesabenteuern beschäftigt sein. Aber da du Jungen als eklige Alte ansiehst, ist es vielleicht nicht so merkwürdig, daß du immer noch im Stande der Jungfräulichkeit bist.«
Mette öffnete den Mund, um etwas zu antworten, ließ es aber. In ihren Augen war immer noch der wachsame Ausdruck. Rakel sah verblüfft auf ihre Bürste. Da verstand sie plötzlich und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie schüttelte leicht den Kopf.
»Mette«, sagte sie,
Weitere Kostenlose Bücher