Das Fliederbett
offenkundig von einem Mann geschrieben, der nicht wußte, was eine Versuchung ist. Daß seine Gemeinde ihn nicht ausgelacht hatte!
Müde lehnte er den Kopf gegen den schwarzen Schreibtisch. >Führe uns nicht in Versuchung.« Was hatte er Böses getan, daß Gott ihn so in Versuchung führen mußte! Er, der sein Leben lang ohne eine Ahnung von der Gier des Fleisches gelebt hatte. Jetzt war er nicht länger ahnungslos. Jetzt konnte er diese Zeile beten, so brennend wie irgend möglich, diese Zeile, die er früher so unbekümmert gemurmelt hatte: Führe uns nicht in Versuchung.
Daß es so leicht sein konnte zu fallen... obwohl man auf der Hut war und obwohl man betete. Schon zwei Tage nach dem Ereignis auf Lillskär fiel er wieder. Dann hörte er auf zu beten. Es war sinnlos. Er wollte nicht einmal erhört werden. Wenn Gott ihm nun eine solche Prüfung auferlegte — und sie ihm wieder und wieder auferlegte, dann lag die Schuld bei ihm selbst. Er erschauerte bei diesen lästerlichen Gedankengängen.
Mußte er denn seine Berufung aufgeben? Er ging in der Lindenallee auf und ab, sah den weißen Pfarrhof, sah Gudruns Kleid zwischen den Obstbäumen, hörte die Glocken den Feiertag einläuten. Es war Samstag. Morgen würde er wieder auf der Kanzel stehen. Und er wollte es. Er hatte schon seine Predigt geschrieben. Eine ausgezeichnete Predigt.
Er seufzte vor sich hin. Gudrun war gerade dabei, Erdbeeren zu pflücken. Sein Herz schmerzte vor Zärtlichkeit für sie. Würde denn Granö jemals eine bessere Pfarrersfrau bekommen können? Verzweifelt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Er konnte die Berufung nicht aufgeben. Mußte er es denn übrigens? Wenn Marianne dichthielt... Aber konnte man sich auf eine Siebzehnjährige verlassen?
Auch Gudrun hatte Kummer, obwohl sie gerade jetzt ans Mittagessen denken mußte. Als Vorgericht würde es eingemachten Aal geben und zum Nachtisch Erdbeeren mit Schlagsahne. Die Lose fürs Rote Kreuz waren zum Glück größtenteils verkauft, nicht zuletzt mußte sie es Bengt danken. Sie errötete. Er hatte nicht nur zehn Lose gezeichnet... Das war auch wieder geschehen. Und wenn ihr Gott nicht half... Sie steckte eine Erdbeere in den Mund, reckte sich, spürte eine schwache Lust, Bengt zu treffen. Eine recht starke Lust übrigens. Sie könnte mit dem Rad hinfahren, auf dem Weg Pilze pflücken und im Vorbeigehen bei Bengt reinschauen. Was wäre eigentlich natürlicher?
Aber Bengt war nicht zu Hause. Enttäuscht und ein wenig böse, sowohl auf ihn als auch auf sich selbst, radelte Gudrun wieder nach Hause. Es säuselte verlassen in den Bäumen. Aus der Ferne war die Musik von der Tanzerei zu hören. War Bengt dort? Marianne hatte davon gesprochen, dorthin zu gehen.
Sie würde nach Hause gehen und die Pfifferlinge braten, die sie gefunden hatte. Das müßte gut zum Sonntagslunch passen. Eier und Bacon und Pilze. Erland würde sich freuen!
Der Wind kam aus der Richtung des Tanzbodens, dann und wann drangen die Töne sogar in die Küche. Sie schloß die Fenster. Es hatte keinen Sinn, die Mücken hereinzulassen. Sie stellte den Teller mit den frischgebratenen Pilzen in die Speisekammer. Wo steckte Erland nur?
Überall diese Ziehharmonikamusik. Ärgerlich schloß sie auch das Schlafzimmerfenster. Daß Bengt ausgerechnet heute abend... Es war natürlich klar, daß er zum Tanzen gehen würde. Vielleicht saß er jetzt gerade mit einem Mädchen im Wald und flüsterte. Erzählte, daß er sogar die Frau Pastor verführt hätte.
Nicht wenig beunruhigt zog sie den Pyjama an. Konnte sie sich wirklich auf Bengts Verschwiegenheit verlassen? Mit hochgezogenen Augenbrauen faltete sie den Bettüberzug zusammen und legte ihn auf einen Stuhl.
Erland kam herein, ohne daß sie es bemerkte.
»Gehst du schon schlafen?« fragte er.
Sie fühlte sich schuldbewußt, weil ihre Gedanken bei Bengt gewesen waren.
»Ich bin müde«, sagte sie.
Er blieb stehen. Sie hatte einen süßen Schlafanzug, gelb mit weißen Knöpfen. Die Ärmel waren kurz. Er blickte zur Seite. »Hast du Pilze gefunden?« fragte er.
Sie nickte.
»Ein paar«, erwiderte sie.
Er war es nicht gewohnt, sie verlegen zu sehen.
»Ich setz mich hin und lese«, sagte er und sah auf ihre bloßen Füße hinunter. Sie ging zum Bett hin.
»Tu das«, sagte sie.
Es war wirklich ein süßer Schlafanzug. Was für runde Arme sie hatte. Und der Nacken, sonnenverbrannt unter dem kurzen Haar.
»Gudrun«, sagte er und fragte sich, warum er so hartnäckig stehen
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