Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Albträume

Das Flüstern der Albträume

Titel: Das Flüstern der Albträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
Vom Netzwerk:
der Kolonialzeit und holpriger Gehwege hatten sich inzwischen viele angesagte Läden, Galerien, Restaurants und Bars angesiedelt.
    Eva fuhr in eine kleine Seitenstraße und bog dann in eine dunkle Gasse ab, die zur Hintertür des King’s Pub führte, wo sie seit sechs Monaten arbeitete.
    Der Inhaber, der seit zwei Jahren mit geschäftlichen Einbußen zu kämpfen hatte, zahlte Eva nur ein kleines Gehalt, ließ sie aber essen, so viel sie wollte, und stellte ihr ein Zimmer im obersten Stockwerk zur Verfügung. In ihren Augen war es ein perfektes Arrangement. Sie hatte zu essen, ein Dach über dem Kopf, konnte für das College sparen und hatte Zeit, die fehlenden Puzzleteile aus ihrer Vergangenheit zu finden.
    Eva parkte neben dem grünen, zerbeulten Müllcontainer.
    Zwei der drei Lampen am Hintereingang brannten mal wieder nicht, sodass ihr nur ein schwacher, kreisförmiger Lichtschein den Weg wies.
    Eva mochte die Gasse nicht und beeilte sich immer, zum Haus zu kommen. Das wunderte King. Ihr Chef verstand nicht, dass sie zwar einem Schläger wie Bruce Radford eine Vorladung überbringen konnte, sich aber in muffigen Gassen fürchtete. Sie hatte King nie gesagt, dass der Geruch dort sie ans Gefängnis erinnerte.
    Eva kramte nach dem Hausschlüssel und stieg aus. Sie war erst zwei Schritte gegangen, als sie hinter sich ein Rascheln vernahm. Den Schlüsselbund wie eine Waffe umklammernd, wirbelte sie herum. Bilder von Radford und dem Polizisten stürmten auf sie ein. War ihr jemand gefolgt?
    Das schabende Geräusch wurde lauter, und der zerbeulte Müllcontainer bewegte sich leicht.
    »Wer ist da?«, fragte sie laut.
    Keine Antwort.
    »Ich habe eine Waffe, und die Polizei ist unterwegs.« Sie hielt den Atem an und griff mit beiden Händen in die Bauchtasche ihres Kapuzenpullovers, ertastete jedoch nur Fussel und eine Tankquittung.
    Ein Junge spähte hinter dem Müllcontainer hervor. Sofort erkannte sie das dunkle Haar und die sommersprossige Nase, ebenso wie das weiße Redskins-T-Shirt und die zerrissene Jeans, die er fast immer anhatte. Bobby, Kings zehnjähriger Pflegesohn.
    Das Jugendamt hatte ihm nur wenige Informationen zu dem Jungen liefern können. Die Mutter war eines natürlichen Todes gestorben, der Vater unbekannt und die sonstige Familie nicht willens, den Kleinen aufzunehmen. Doch Eva brauchte keine Akte, um zu wissen, dass Bobby traumatisiert war. Überlebende wie sie beide erkannten einander.
    »Du hast gar kein Telefon und keine Waffe«, sagte der Junge. »Du bist zu geizig für ein Handy und zu ängstlich für eine Waffe.«
    »Herrgott, Bobby. Du hast mir einen Heidenschreck eingejagt«, sagte Eva. In den fünf Wochen, die der Junge inzwischen im Pub wohnte, waren sie beide noch nicht richtig warm miteinander geworden. Bobby war einer von Kings Zöglingen, so wie sie selbst. »Was machst du um diese Uhrzeit denn hier draußen?«
    Bobby warf einen Blick zurück zum Müllcontainer. »Ich hab eine kleine Katze gefunden.«
    »Wo?«
    »Da drüben.«
    »Hast du sie gesehen?«
    »Nur einmal. Sie ist weiß und ganz klein. Und hat langes Fell. Ich hab gehört, wie sie miaut hat. Ich hab ihr was zu fressen gebracht.«
    »Weiß King, dass du hier draußen bist?« Eva hob die Hand, ehe Bobby antworten konnte. »Natürlich nicht. Wenn er wüsste, dass du nachts allein hier draußen herumläufst, würde er durchdrehen. Wie bist du an der Alarmanlage vorbeigekommen?«
    »Ich hab mal gesehen, wie King den Code eingegeben hat. Er ist leicht zu merken.« Der Junge senkte die Stimme. »1984.«
    »Toll.« In Evas Kopf hämmerte es, und das war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. »Los, rein mit dir.«
    Der Junge runzelte die Stirn. »Aber ich muss auf das Kätzchen aufpassen.«
    »Du hast es doch gefüttert, oder?«
    »Mit Milch und Thunfisch.«
    Jetzt fielen ihr die Schüsseln neben dem Container auf. Beide waren unberührt. »Wenn wir hier stehen, kommt das Kätzchen nicht heraus, um zu fressen.«
    »Warum nicht?«
    »Denk doch mal nach. Würdest du Essen von einem Fremden annehmen? Und dir dann den Bauch damit vollschlagen, während er zuguckt?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht. Ich wette, das Kätzchen hat genauso viel Erfahrung mit der Straße wie wir.«
    »Aber …«
    Bisher hatte der Junge kaum Interesse an irgendetwas gezeigt. Er ging zur Schule, machte seine Hausaufgaben und putzte sich die Zähne, aber er war irgendwie nie ganz da. Eva erinnerte sich, dass sie ebenso antriebslos gewesen war, als ihre Mutter

Weitere Kostenlose Bücher