Das Flüstern der Nacht
bist.«
»Was diese Sache angeht, kann ich möglicherweise behilflich sein«, überlegte Rojer. »Ich bin an Rhinebecks Hof aufgewachsen, als Arrick noch sein Herold war. Wenn wir in Angiers sind, werde ich die Jongleurgilde aufsuchen. Mal sehen, vielleicht kann ich ja ein paar richtige Lehrer für meine Schüler anheuern.«
»Also gut«, stimmte der Tätowierte Mann zu. »Bei der ersten Schneeschmelze brechen wir auf.«
Die breiten Schwingen des Mimikrydämons fraßen die Meilen, aber der Horcling-Prinz verabscheute die Helligkeit der Oberfläche, suchte wiederholt Zuflucht im Horc und kroch nur während der finstersten Stunden der Nacht daraus hervor. Es war die erste Nacht nach Neumond, und selbst der matte Schimmer, der von dem schmalen, kaum angedeuteten Streifen ausging, brannte schmerzhaft in den an den Horc gewöhnten Augen des Dämons. Wenn er dorthin zurückkehrte, würde er ihn erst wieder verlassen, wenn die verfluchte Scheibe einen vollen Zyklus des Anschwellens und Erlöschens hinter sich gebracht hatte.
Unter ihm kam das Großsiegel in Sicht, das das Tal des Erlösers schützte; seine gestohlene Magie funkelte wie ein Leuchtfeuer. Der Seelendämon zischte bei dem Anblick, und seine Stirn pulsierte, als er das Bild ohne Zeitverzögerung Hunderte von Meilen weit nach Süden schickte, wo der Geist seines Bruders es auffing.
Genauso schnell erreichte ihn die Antwort; der Schädel des Dämons vibrierte, als er die Enttäuschung und Unzufriedenheit seines Bruders spürte.
Der Mimikrydämon landete ohne das geringste Geräusch und der Seelendämon schwang sich von seinem Rücken. Sofort verlor der Mimikry seine Schwingen, verwandelte sich in einen leichtfüßigen Flammendämon und flitzte voran, um sicherzugehen, dass der Weg für den Horcling-Prinzen frei war, der nun auf das Dorf zusteuerte.
Das Großsiegel war zu gewaltig, um es beschädigen zu können, und gegen seine ungeheure Macht kam selbst ein Horcling-Prinz nicht an. Der Dämon sah die geballte Magie, die glitzernd das
Dorf einhüllte und eine schier unüberwindliche Barriere darstellte. Nicht einmal massiver Stein hätte diesen kraftvollen Schutz bieten können. Er versuchte, mit seinen Gedanken in die Köpfe der dort lebenden Menschen einzudringen, eine Anstrengung, die die weichen Höcker an seinem Schädel zum Pochen brachte, doch die geballte Konzentration von Magie verhinderte selbst ein Eindringen seines Geistes.
Der Dämon umkreiste die Stadt und inspizierte das Terrain rings um die Schleifen und Windungen des Siegels. Eine überaus geschickt angelegte Verteidigungsanlage, die nur wenige Schwächen aufwies; und selbst diese geringen Schwachpunkte boten keine echte Blöße, ließen sich nur sehr schwer nutzbar machen. Drohnen drifteten aus den Bäumen, angezogen von der Nähe des Horcling-Prinzen, aber er verscheuchte sie mit einem Gedanken.
Er entdeckte eine Stelle, an der zwei weibliche Menschen am Rand des Siegels standen, ausgerüstet mit primitiven Waffen. Aufmerksam lauschte der Dämon den grunzenden und kläffenden Tönen, die sie von sich gaben, und wartete auf eine bestimmte Betonung, die das Aussprechen eines Namens verhieß. Bald hörte er sie heraus, und die weiblichen Wesen umarmten einander, ehe sie sich trennten und in entgegengesetzten Richtungen an der Grenze der sicheren Zone entlangmarschierten, die Waffen schussbereit.
Der Seelendämon rannte los, überholte die ältere der beiden Frauen und lauerte ihr an einem einsamen Flecken auf. Er gab dem Mimikrydämon ein Zeichen. Dessen Leib schwoll an und die dahinschmelzenden Schuppen wurden von der rosigen Haut und den äußeren Merkmalen der Oberflächenbewohner ersetzt.
Als die ältere Frau dann auftauchte, ließ sich der Mimikrydämon im Schatten gleich außerhalb der Bannzone auf den Boden fallen. Er rief den Namen der Frau, wobei er die Stimme des jüngeren weiblichen Wesens genauso exakt kopierte wie deren Gestalt. »Mala!«
»Wonda?«, schrie sein auserkorenes Opfer. Die Frau sah sich hektisch um, doch als sie nirgendwo einen Dämon entdeckte, eilte sie zu dem am Boden liegenden Ding, von dem sie annahm, es sei ihre Freundin. »Wir waren doch gerade noch zusammen! Wieso bist du da draußen?«
Der Seelendämon trat aus seinem Versteck hinter einem Baum hervor, woraufhin die Frau einen erstickten Schrei ausstieß und ihren Bogen hob. Die Stirnhöcker des Horcling-Prinzen pulsierten sachte. Sofort erstarrte die Frau und senkte gegen ihren Willen die Hände
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