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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Stadtschlampe sucht nach einem Vorwand, in den Ort zu ziehen, um ihren Männern schöne Auge zu machen, und keiner von denen dürfte das recht sein.«
    »Außerdem«, fuhr er fort und umklammerte mit seiner knorrigen Hand ihren Hals, »bringe ich dich um, wenn du auch nur einer Menschenseele ein Sterbenswörtchen verrätst.«

    Von der Veranda aus sah Renna zu, wie die Sonne unterging; die Arme um sich geschlungen stand sie da, während das Farbenspiel
den Himmel überschwemmte. Es war noch nicht lange her, da hatte sie jeden Abend in Richtung Osten gespäht und davon geträumt, Arlen Strohballen würde aus den Freien Städten zurückkommen, um sein Versprechen einzulösen und sie mitzunehmen.
    Sie beobachtete immer noch die Straße, nun jedoch blickte sie nach Westen und betete, Cobie Fischer würde dort erscheinen und ihrer Not ein Ende bereiten. Ob er wohl noch an sie dachte? Hatte er wirklich gemeint, was er sagte? Aber hätte er nicht längst hier auftauchen müssen, wenn dem so wäre?
    Mit jedem Abend, der verging, war ihre Hoffnung ein wenig geschwunden, bis sie kaum mehr als ein winziger Funke war und schließlich einem schwach glühenden, im Sand vergrabenen Stück Kohle glich, eine Wärme, die aufgespart wurde für eine Zeit, die vielleicht nie kommen würde.
    Doch sie griff nach jeder Ausflucht, um noch ein Weilchen länger draußen zu bleiben, selbst wenn es sich um einen Traum handelte, der genauso schmerzte wie tröstete. Bald musste sie ins Haus zurückgehen, ihrem Vater das Nachtmahl vorsetzen und unter seinen Blicken die abendlichen Pflichten erledigen, bis er bestimmte, es sei Zeit, sich schlafen zu legen.
    Dann würde sie gehorsam zu ihm ins Bett steigen und still liegen, während er sich an ihr verging. Sie dachte an Ilain, die jahrelang diese Tortur erdulden musste, als Renna noch zu jung war, um es zu begreifen. Wie sie das alles hatte überleben können, ohne den Verstand zu verlieren, war ihr unbegreiflich, aber Ilain und Beni waren immer stärker gewesen als sie.
    »Es wird dunkel, Mädchen«, rief Harl. »Komm rein und schließ die Tür, ehe die Horclinge dich kriegen.«
    Einen Moment lang tanzte dieses Bild durch ihren Kopf. Gleich würden die Horclinge an die Oberfläche steigen. Nichts wäre einfacher, als die Barriere aus Siegeln zu überschreiten und ihren Qualen ein Ende zu setzen.

    Doch Renna merkte, dass ihr auch dazu die Kraft fehlte. Sie drehte sich um und ging ins Haus.

    »Sei nicht böse auf mich, Wolly«, beruhigte Renna das Schaf, das sie gerade schor. »Du wirst es mir noch danken, wenn ich dich bei dieser Hitze von deinem Fell befreie.«
    Beni und die Jungen hatten sich über sie lustig gemacht, weil sie mit den Tieren sprach wie mit Menschen, doch seit ihre Schwester und deren Familie fort waren, ertappte sich Renna immer öfter dabei, wie sie sich mit dem Vieh unterhielt. Die Katzen, die Hunde und die Tiere in den Verschlägen waren die einzige Freude, die sie auf der Welt hatte, und wenn Harl auf den Feldern arbeitete, hörten sie ihr mitfühlend zu, wenn sie ihnen ihr Herz ausschüttete.
    »Renna«, flüsterte jemand hinter ihr. Sie zuckte zusammen und Wolly blökte, als sie versehentlich in seine Haut schnitt, aber Renna achtete kaum darauf, als sie herumfuhr und nur wenige Schritte entfernt Cobie Fischer entdeckte.
    Sie ließ die Schere fallen und schaute sich ängstlich um, aber Harl war nirgends zu sehen. Er war draußen auf den Feldern und hackte Unkraut, was bedeutete, dass er noch Stunden fortbleiben würde; doch sie ging kein Risiko ein, packte seinen Arm und zog ihn hinter die große Scheune.
    »Was tust du hier?«, zischelte sie.
    »Ich bringe ein paar Fässer Reis zu Mack Weides Hof ein Stück weiter die Straße hinauf«, erzählte Cobie. »Dort werde ich übernachten, und morgen früh reite ich nach Stadtplatz zurück.«
    »Mein Vater bringt dich um, wenn er dich sieht«, hauchte Renna.
    Cobie nickte. »Ich weiß. Aber ich habe keine Angst.« Er fingerte an seiner Kuriertasche herum und zog eine lange Halskette
aus glatten Flusskieseln heraus, die auf eine kräftige Lederkordel mit einem Fischgräten-Verschluss gefädelt waren.
    »Viel ist es nicht, aber es war das Einzige, was ich mir leisten konnte«, bemerkte er und reichte Renna die Kette.
    »Sie ist wunderschön«, freute sie sich und nahm das Geschenk an. Die Kette ließ sich zweimal um ihren Hals wickeln und baumelte immer noch an ihren Brüsten herunter.
    »Ich muss ständig an dich denken, Renna«,

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