Das Flüstern der Nacht
Monaten. Wir brauchen diese Fiedelmagier, Rojer. Du musst einen Weg finden, die Leute auszubilden.« Er packte Rojer bei den Schultern und schaute ihm in die Augen; Rojer sah die grenzenlose Entschlossenheit, die in dem Mann brannte, und darüber hinaus erkannte er, wie viel Vertrauen er in ihn, Rojer, setzte. »Du schaffst es«, beteuerte der Tätowierte Mann und drückte seine Schultern. Er drehte sich um, doch der Blick ließ Rojer nicht los; er fühlte sich, als sei etwas von der Energie dieses Mannes auf ihn übergesprungen. Wenn er die Schüler nicht unterweisen konnte, dann brauchten sie vielleicht einen anderen Lehrer; und er wusste auch schon, wo die geeigneten Ausbilder zu finden waren. Jetzt musste er nur noch seine Furcht überwinden und an diese Lehrer herantreten.
Gared näherte sich dem Tätowierten Mann und fiel auf ein Knie nieder. »Nimm mich mit«, bettelte er. »Ich hab keine Angst, durch die Nacht zu galoppieren. Ich werd dich nicht aufhalten.«
»Steh auf!«, blaffte der Tätowierte Mann und trat mit dem Fuß gegen Gareds gebeugtes Knie. Der riesenhafte Holzfäller rappelte sich schnell wieder hoch, hielt den Blick jedoch gesenkt. Der Tätowierte Mann legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich weiß, dass du mich nicht aufhalten würdest, Gared«, erklärte er, »aber du wirst auch nicht mitkommen. Ich reite allein nach Miln.«
»Aber jemand muss dich doch beschützen«, quengelte Gared. »Die Welt braucht dich.«
»Die Welt braucht Männer wie dich dringender als meinesgleichen«, widersprach der Tätowierte Mann. »Und auf einen Leibwächter kann ich verzichten. Außerdem habe ich etwas anderes mit dir im Sinn.«
»Ich stehe dir voll und ganz zu Diensten«, beteuerte Gared.
»Ich brauche keinen Beschützer, aber Rojer hat einen nötig«, erklärte der Tätowierte Mann. Rojer warf ihm einen scharfen Blick zu, doch der Tätowierte Mann gab vor, nichts von seiner Verblüffung und seinem Unmut zu bemerken. »So wie Wonda über Leesha wacht, sollst du ein Auge auf Rojer halten. Seine Fiedelmagie ist einzigartig, und somit ist dieser Bursche in der Tat unersetzlich. Wer weiß, vielleicht kann seine Musik einmal die entscheidende Wende im Kampf mit den Horclingen herbeiführen, wenn es uns nur gelingt, sie richtig einzusetzen.«
Gared machte eine tiefe Verbeugung und trat in einen Sonnenstrahl, der durch ein Fenster hereinfiel. »Ich schwöre bei der Sonne, dass ich ihn nie mehr aus den Augen lassen werde«, verkündete er mit feierlichem Ernst.
Als Rojer den Schwur dieses für seinen Jähzorn berüchtigten Muskelprotzes hörte, bekam er ein mulmiges Gefühl in der Magengrube; er war sich nicht sicher, ob er sich freuen oder fürchten sollte. »Lass mich wenigstens allein auf den Abort gehen«, bat er.
Gared lachte und verpasste ihm einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken, der Rojer die Luft aus den Lungen trieb und ihn beinahe zu Boden warf.
»Ich breche nach Fort Miln auf, bevor das Nordtor zur Nacht geschlossen wird«, teilte der Tätowierte Mann Leesha mit, als sie in der Kutsche zu Jizells Hospital zurückfuhren. Zuvor hatte er ihr in allen Einzelheiten die Audienz mit dem Herzog geschildert, die haargenau so verlaufen war, wie es die Herzoginmutter vorhergesagt hatte. »Sobald ich Schattentänzer für die Reise bepackt habe, reite ich los.«
Leesha hatte Wonda eingeschärft, sich nichts anmerken zu lassen, falls die Männer Araines Worte bestätigten. Das Mädchen bewahrte
in bewundernswerter Weise die Fassung, aber Leesha hatte Mühe, sich das Lächeln zu verkneifen, das ständig ihre Lippen umspielte und ihre Mundwinkel nach oben zu ziehen drohte. »Oh?«
»Rhinebeck möchte, dass ich als sein Mittelsmann Herzog Euchor aufsuche und ihn um Unterstützung bitte, wenn es darum geht, die Krasianer aus thesanischem Gebiet zu vertreiben«, erklärte der Tätowierte Mann.
Leesha biss auf die Zähne, um nicht loszuprusten, und verbarg ihre Heiterkeit hinter einem grimmigen Nicken. Insgeheim bewunderte sie das politische Geschick der Herzoginmutter. Sie wünschte sich, auch sie könnte Männer ihrem Willen unterordnen, ohne dass sie diese Beeinflussung auch nur ahnten.
Sie fing den erwartungsvollen Blick des Tätowierten Mannes auf. »Ist was?«, fragte sie scheinheilig.
»Kein Versuch, mich zurückzuhalten?« Er klang beinahe enttäuscht. »Nicht einmal ein dringendes Angebot, mich zu begleiten?«
Leesha schnaubte. »Auf mich wartet Arbeit im Tal«, versetzte sie, ohne
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