Das Flüstern der Nacht
ausführliche Liste mit allem vorlegen, was wir entbehren können.«
»Fangt gleich damit an«, bestimmte Rhinebeck.
Abermals verbeugte sich Janson. »Wie Ihr befehlt, Euer Gnaden.«
»Und was gedenkt Ihr gegen den Vormarsch der Krasianer zu unternehmen?«, wollte der Tätowierte Mann wissen.
»Ich habe keinerlei Beweise dafür, dass die Krasianer tatsächlich bis zu uns vordringen werden«, entgegnete Rhinebeck. »Der Einzige, der das behauptet, bist du.«
»Sie werden kommen«, versicherte der Tätowierte Mann. »Der Evejah verlangt es von ihnen.«
»Du kennst dich ja gut aus mit diesen Wüstenratten und ihrer heidnischen Religion«, warf Pether ihm vor. »Lord Janson erzählte mir, du hättest sogar eine Zeit lang bei ihnen gelebt.«
Der Tätowierte Mann nickte. »Das ist richtig, Euer Gnaden.«
»Wie können wir dann sicher sein, wem deine Loyalität gilt?«, bohrte Pether nach. »Woher sollen wir wissen, ob du nicht vielleicht selbst ein verfluchter Evejanischer Konvertit bist? Bei der Nacht, wenn du uns nicht verraten willst, wer du bist und woher du kommst, könnte unter all diesen Tätowierungen sogar ein Krasianer stecken!«
Gared gab ein Knurren von sich, doch der Tätowierte Mann hob einen Finger und der hünenhafte Holzfäller verstummte. »Ich versichere Euch, dass das nicht so ist«, entgegnete der Tätowierte Mann. »Meine Loyalität gilt Thesa.«
Rhinebeck lächelte genüsslich. »Beweise es.«
Der Tätowierte Mann legte den Kopf schräg und sah den Herzog neugierig an. »Wie soll ich es beweisen, Euer Gnaden?«
»Mein Herold ist unterwegs und bereist die Dörfer«, führte Rhinebeck aus. »Und du bist ohnehin viel schneller als er. Geh für mich nach Fort Miln und sprich mit Herzog Euchor. Berufe dich auf den Pakt.«
»Den Pakt, Euer Gnaden?« Fragend runzelte der Tätowierte Mann die Stirn. Durch einen Blick verständigte sich Rhinebeck mit Janson, der sich umständlich räusperte.
»Der Pakt der Freien Städte«, erklärte der Minister. »Im Jahr Null, nachdem die ersten durch Siegel geschützten Mauern endlich fertiggestellt waren und in dem verwüsteten Umland wieder einigermaßen Ordnung herrschte, unterzeichneten die Herzöge von Thesa, die die Katastrophe überlebt hatten, einen Nichtangriffspakt, den sogenannten Pakt der Freien Städte. In diesem Bündnis bestätigten sie den Tod des Königs von Thesa und das Ende seiner Blutlinie. Außerdem verpflichteten sie sich, die Herrschaftsgebiete der jeweiligen Regenten anzuerkennen. Der Pakt verbietet es, Territorien gewaltsam einzunehmen, und garantiert im Falle eines Angriffs den Zusammenhalt aller Städte, um den Aggressor zurückzuschlagen.«
»Haben die Krasianer diesen Pakt auch unterschrieben?«, wollte der Tätowierte Mann wissen.
Janson schüttelte den Kopf. »Krasia gehörte nicht zu Thesa und war niemals in diese Allianz eingebunden. Allerdings …« Er hob eine Hand, um jeder möglichen Unterbrechung Einhalt zu gebieten, setzte sich seine Brille auf die Nasenspitze und hielt ein altes Pergament in die Höhe. »Allerdings lautet die exakte Formulierung des Textes folgendermaßen:
›Sollte das Gebiet oder die Souveränität eines Herzogtums durch Menschen bedroht werden, sind sämtliche Unterzeichner sowie ihre Nachfolger verpflichtet, sich zusammenzuschließen und gemeinsam dem gefährdeten Staat beizustehen.‹ « Janson legte das Pergament auf das Schreibpult zurück. »Man wählte eigens diese Fassung, um grundsätzlich alle kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Menschen zu ächten, denn die Rückkehr der Dämonen hatte die Menschheit so stark dezimiert, dass von uns nur noch wenige übrig geblieben waren. Dieser Vertrag ist nach wie vor bindend, egal, ob ein krasianischer Anführer ihn unterzeichnet hat oder nicht.«
»Glaubt Ihr, dass Herzog Euchor das genauso sieht?«, fragte der Tätowierte Mann den Minister.
»Hast du eine Audienz mit meinem Sekretär oder mit mir?«, herrschte Rhinebeck ihn an und zog damit die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Rojer sah, dass der Herzog im Gesicht hochrot angelaufen war, und er wirkte genauso empört wie in jener Nacht, als er den sieben Jahre alten Rojer schlummernd im Bett einer seiner Lieblingshuren vorgefunden hatte.
Der Tätowierte Mann verbeugte sich. »Ich bitte um Vergebung, Euer Gnaden. Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Die Entschuldigung schien Rhinebeck ein wenig zu besänftigen, doch seine Antwort fiel schroff aus: »Euchor wird versuchen,
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