Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
kann.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich von mir gelöst«, stellte er richtig.
    »Meinst du, das wüsste ich nicht?«, schrie sie ihn an. »All die Jahre habe ich mir Vorwürfe gemacht, wusste nicht, ob du tot auf der Straße oder in den Armen einer anderen Frau liegst, nur weil ich in dieser einen Nacht eigensüchtig und wütend war! Wie lange muss ich noch dafür büßen, dass ich mich schlecht benommen habe, als du mir sagtest, du wolltest lieber dein Leben riskieren als bei mir zu bleiben und dich wie in einem Gefängnis zu fühlen?«

    Wie sie so vor ihm stand, wusste er, dass sie Recht hatte. Er hatte weder sie noch sonst jemanden jemals belogen, aber er hatte sie getäuscht, als er sie im Glauben ließ, er hätte seinen Traum, Kurier zu werden, aufgegeben.
    Langsam hob er die Hände und zog die Kapuze zurück.
    Merys Augen weiteten sich, als die Tätowierungen zum Vorschein kamen, und sie schlug die Hände vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Dutzende Tätowierungen bedeckten allein sein Gesicht, sie zogen sich seinen Kiefer und die Lippen entlang, über die Nase, rund um die Augen und sogar über die Ohren.
    Unwillkürlich schüttelte sie sich. »Dein Gesicht, dein hübsches Gesicht, Arlen. Was hast du getan?«
    Unzählige Male hatte er sich diese Reaktion ausgemalt, in ganz Thesa verhielten sich die Leute so, wenn sie einen Blick auf seine unverhüllte Haut erhaschten, und doch hatte er nicht damit gerechnet, dass es ihn so tief verletzen würde. Der Ausdruck in ihren Augen verurteilte den Menschen, zu dem er geworden war, sorgte dafür, dass er sich so klein und hilflos fühlte wie seit Jahren nicht mehr.
    Er hasste sich für dieses Gefühl, und Arlen von Miln, der zum ersten Mal seit langem wieder erstarkt war, flüchtete sich zurück in die Dunkelheit. Der Tätowierte Mann kam wieder zum Vorschein, und sein Blick wurde hart.
    »Ich habe es getan, um zu überleben«, erklärte er mit tiefer, rauer Stimme.
    »Nein, das stimmt nicht.« Mery schüttelte vehement den Kopf. »Du hättest hier in Miln überleben können, in aller Sicherheit. Du hattest sogar die Möglichkeit, in jeder anderen der Freien Städte zu wohnen. Du hast dich nicht … verunstaltet, weil es um dein Überleben ging. Die Wahrheit ist, dass du von Selbsthass zerfressen bist. Du glaubst, du hast nichts Besseres verdient, als dich ungeschützt in der Nacht herumzutreiben. Du hast es getan, weil du
Angst hast, dein Herz zu öffnen und irgendetwas zu lieben, das die Horclinge dir wegnehmen könnten.«
    »Die Horclinge machen mir keine Angst mehr«, entgegnete er. »Ich laufe frei durch die Nacht und fürchte keinen Dämon, sei er groß oder klein. Sie laufen vor mir davon, Mery! Vor mir !« Zur Betonung schlug er sich mit der Faust gegen die Brust.
    »Kein Wunder«, flüsterte Mery, während Tränen über ihre glatten, runden Wangen rannen. »Du hast dich ja selbst in ein Ungeheuer verwandelt.«
    »Ungeheuer?!«, brüllte der Tätowierte Mann, und sie zuckte entsetzt zurück. »Ich habe etwas bewirkt, was seit Jahrhunderten kein Mann vollbracht hat! Wovon ich immer geträumt habe! Ich habe der Menschheit eine Macht wiedergegeben, die im Ersten Dämonenkrieg verlorenging!«
    Unbeeindruckt spuckte Mery auf den Boden. Diese Geste verstörte ihn zutiefst, denn er hatte sie in der vergangenen Nacht gesehen, in seiner dritten Vision.
    »Und um welchen Preis?«, fragte sie ihn. »Jaik hat mir zwei Söhne geschenkt, Arlen. Willst du sie auffordern, in den nächsten Dämonenkrieg zu ziehen, nur um ihr Leben zu verlieren? Es hätten deine Söhne sein können, dein Vermächtnis an die Welt, doch das Einzige, was du ihr geschenkt hast, ist ein Weg, sich selbst zu vernichten.«
    Der Tätowierte Mann öffnete den Mund zu einer zornigen Erwiderung, aber kein Wort kam über seine Lippen. Jeden anderen, der so zu ihm gesprochen hätte, hätte er geschlagen, aber Mery hatte mühelos seinen wunden Punkt getroffen. Was hatte er der Welt wirklich geschenkt? Würden Tausende junger Männer mit seinen Waffen losmarschieren, nur um in der Nacht abgeschlachtet zu werden?
    »Du hast deinen Traum in der Tat verwirklicht, Arlen«, fuhr Mery fort. »Du hast dafür gesorgt, dass dir nie wieder jemand zu nahe kommt.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Miene verzog
sich. Ein Schluchzer löste sich von ihren weichen Lippen, sie hielt sich eine Hand vor den Mund, drehte sich um und lief davon.
    Eine geraume Zeit lang rührte der Tätowierte Mann

Weitere Kostenlose Bücher