Das Flüstern der Nacht
stemmte die Hände in die Hüften. »Mein Freund, du beleidigst mich! Ich bin so leistungsfähig wie das beste Kamel im Basar. Du hattest Recht, als du mich jeden Tag aufs Neue gezwungen
hast, mich selbst zu übertreffen, und eine Klettertour in die siebente Etage wird mir nur guttun.«
Jardir zuckte mit den Schultern. »Wie du willst«, gab er nach, und nachdem er den anderen nie’Sharum seine Anweisungen erteilt hatte, machten sie sich auf den Weg nach oben.
Die unregelmäßigen Steinstufen von Baha waren in die Felswand hinein geschlagen und an einigen heiklen Stellen hatte man sie mit Sandstein und Lehm abgestützt. Manchmal waren sie so schmal wie der Fuß eines Mannes, dann wieder musste man mehrere Schritte machen, um zur nächsten Stufe zu gelangen. Abgeschliffene Steine markierten den Weg vieler voll beladener Karren, die von Lasttieren gezogen wurden. Mit jeder Etage änderten die Stufen ihre Richtung und zweigten auf einen Pfad ab, der zu den Häusern auf dieser Terrasse führte.
Sie waren noch nicht weit gekommen, da fing Abban schon an zu keuchen und sein rundes Gesicht glänzte vor Schweiß. Sein Hinken wurde immer ausgeprägter, und auf der fünften Etage zischte er bei jedem einzelnen Schritt vor Schmerzen.
»Vielleicht sind wir für heute hoch genug geklettert«, wagte Jardir vorzuschlagen.
»Unsinn, mein Freund«, schnaufte Abban. »Ich bin …« Er stöhnte und blies einen langen Atemzug aus, »… stark wie ein Kamel.«
Jardir schmunzelte und klopfte ihm anerkennend auf den Rücken. »Wir machen schon noch einen Krieger aus dir«, versprach er.
Endlich erreichten sie die siebte Etage; Jardir drehte sich um und spähte über den niedrigen Wall. Tief unten schufteten die dal’Sharum und hoben mit kurzen Spaten Dämonengruben aus. Die Gruben grenzten direkt an den Rand der ersten Terrasse, damit ein Dämon, der von der Mauer geworfen wurde, über die Jardir nun nach unten schaute, in der Kuhle landete. Wenn Jardir an den bevorstehenden Kampf dachte, wurde er ganz zappelig vor
Aufregung, obwohl er und die anderen nie’Sharum nicht mitkämpfen durften.
Er wollte zu Abban hinübersehen, doch sein Freund war die Terrasse entlanggegangen, ohne sich um die spektakuläre Aussicht zu kümmern.
»Wir sollten jetzt anfangen, die Häuser auszuräumen«, rief Jardir, doch Abban schien ihn nicht zu hören, sondern hoppelte zielstrebig weiter. Als er vor einem großen Torbogen stehen blieb, holte Jardir ihn ein; über Abbans Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, während er zu den in den Bogen eingekerbten Zeichen empor starrte.
»Die siebente Ebene, ich wusste es doch!«, jubelte Abban. »Es gibt sieben Säulen zwischen Himmel und Ala.«
»Solche Siegel habe ich noch nie gesehen«, staunte Jardir, als er die Symbole musterte.
»Das sind keine Siegel, das sind geschriebene Worte«, belehrte Abban ihn.
Jardir sah ihn voller Wissbegier an. »Wie die, aus denen der Evejah besteht?«
Abban nickte. »Sie lauten: ›Hier, sieben Ebenen von Ala entfernt, um Ihn zu ehren, der alles bedeutet, befindet sich die bescheidene Werkstatt von Meister Dravazi.‹«
»Der Töpfer, von dem du mir erzählt hast«, knurrte Jardir. Abban nickte und wollte den bunten Vorhang zurückziehen, der in der Tür hing, aber Jardir packte seinen Arm und zerrte ihn herum, bis Abban ihm ins Gesicht sehen musste.
»Du kannst also Schmerzen ertragen, wenn es um Profit geht, aber nicht, wenn die Ehre auf dem Spiel steht?«, herrschte er ihn an.
Abban grinste. »Ich denke nur praktisch mein Freund. Von Ehre kannst du dir nichts kaufen.«
»Doch, im Himmel«, versetzte Jardir.
Abban schnaubte durch die Nase. »Vom Himmel aus können wir unsere Mütter und Schwestern nicht kleiden.« Er riss sich los
und betrat die Werkstatt. Jardir blieb keine andere Wahl als ihm zu folgen, und so prallte er von hinten gegen Abban, als der unvermittelt und mit weit aufgerissenem Mund in der Tür innehielt.
»Die Lieferung ist intakt«, wisperte Abban, und in seine Augen stahl sich ein gieriges Leuchten. Jardir folgte seinem Blick, und auch seine Augen weiteten sich. Dort standen, fein säuberlich auf große Trockenbretter gestapelt, die herrlichsten Keramiken, die er je gesehen hatte. Töpfe, Vasen, Kelche, Lampen, Teller und Schüsseln füllten den Raum. Alle Stücke waren mit prächtigen Farben und Blattgold bemalt, und die im Feuer gehärtete Glasur schimmerte in einem unverfälschten Glanz.
Aufgeregt rieb sich Abban die Hände.
Weitere Kostenlose Bücher