Das Flüstern der Nacht
mieden, die ein Felsendämon für sich beanspruchte.
Als der faulige graue Nebel aus dem gewachsenen Fels hochstieg und sich langsam zu einem Dämon verdichtete, schloss sie die Augen und atmete tief ein und aus, um ihre Furcht zu umarmen und ihr inneres Gleichgewicht zu finden.
Es war verblüffend, wie gut diese krasianische Technik funktionierte. Anfangs war es schwierig gewesen, nun jedoch brauchte sie bloß einen Moment, um sich gedanklich an einen Ort zu versetzen, an dem es keine Schmerzen gab und man weder einen Feind noch eine Niederlage fürchtete.
Die Welt sah anders aus, als sie die Augen wieder öffnete und sich aufrichtete; ihre bloßen Füße fanden auf dem Ast einen sicheren Stand. Mit der linken Hand umklammerte sie Harls Messer; selbstvergessen fuhr sie mit dem Daumen über die Siegel, die sie in den beinernen Griff geritzt hatte. In der Rechten hielt sie eine einzelne Kastanie.
Ein kühler Windstoß wühlte in dem sich gelb färbenden Laub rings um sie her, und sie sog tief den Atem ein. Sie ließ die Brise über ihre nackte Haut streichen, und sie fühlte sich, als gehöre sie genauso in diese nächtliche Welt wie der nichtsahnende Dämon, der unter ihr erschien.
Ihr langes braunes Haar, das ihr bis über die Taille gereicht hatte, war ihr lästig geworden, und sie hatte es einfach abgeschnitten; in kurzen, borstigen Resten umrahmte es nun ihr Gesicht, und lediglich ein einziger geflochtener Zopf erinnerte noch an seine frühere Länge. Ihr Kleid hatte sie abgelegt und das Unterkleid in zwei Teile getrennt. Eine hoch geschlossene Weste war stramm geschnürt, um ihren Brüsten Halt zu geben, doch den unteren Rand hatte sie dermaßen gekürzt, dass ihr mit Siegeln bemalter Bauch zu sehen war; der Rock war an beiden Seiten hoch geschlitzt, um ihren Beinen, die ebenfalls Siegel trugen, möglichst viel Bewegungsfreiheit zu geben.
Arlen weigerte sich immer noch, ihre Haut mit Siegeln zu versehen. Ohne auf seine Einwände zu hören, zerstampfte sie selbst den Schwarzstängel. Die daraus gewonnene Tinte färbte ihre Haut dunkelbraun, und die aufgemalten Siegel hielten mehrere Tage, ehe sie verblassten.
Sie spähte nach unten und sah, dass der Dämon endlich eine feste Form angenommen hatte; schnell warf sie die Kastanie auf ihn. Ohne sich zu vergewissern, ob sie das Ziel überhaupt getroffen hatte, trat sie vom Ast ins Leere und ließ sich lautlos fallen.
Noch während sie fiel, landete die Kastanie auf der von ihr weiter entfernten Schulter des Dämons. Das Hitzesiegel, dass sie auf
die glatte Oberfläche gezeichnet hatte, blitzte grell in der Dunkelheit, als es Magie von dem kräftigen Horcling absog. Sofort überhitzte sich die Kastanie und zerplatzte mit einem Knall.
Dem Felsendämon passierte nichts, aber der Lichtblitz und das Geräusch sorgten dafür, dass er seinen Kopf in diese Richtung drehte, als Renna auf der anderen gepanzerten Schulter landete. Mit der freien Hand packte sie ein Horn, um die Balance zu halten, und trieb dem Horcling das Messer in den Hals. Die Siegel auf der Klinge flackerten auf, und sie wurde mit einem Schub aus Magie und einem heißen Schwall aus schwarzem Blut belohnt, der sich über ihre Hand ergoss.
Sie knurrte wie ein Tier, riss den Arm hoch und holte zum nächsten Stoß aus; doch der Dämon warf brüllend den Kopf zurück, und Renna konnte nichts weiter tun, als sich an dem Horn festzuklammern, um nicht herunterzufallen.
In wilden Drehungen wand sie sich hin und her, um den Krallen auszuweichen, denn in dem Bemühen, sie abzuschütteln, schlug sich der Dämon mit seinen Pranken gegen den Kopf. Mit dem Messer stach sie auf alles ein, was in ihre Reichweite gelangte, und ihre mit Siegeln bemalten Füße traten blindlings zu. Jedes Mal, wenn es zu einer Berührung kam, durchzuckte sie ein Strahl von Magie, eine prickelnde Erregung, die sie mit jedem Hieb, jedem Treffer, schneller, stärker und widerstandsfähiger machte. Die Siegel um ihre Augen erwachten zum Leben, und ein magischer Glanz erhellte die Nacht.
Ihr Schläge störten den Dämon, zeigten jedoch so gut wie keine Wirkung. An die Augen und den Hals, seine verletzlichsten Stellen, kam sie nicht mehr heran, und um ihm das Messer durch den massiven Schädel zu rammen, hätte sie sich einen viel festeren Halt verschaffen müssen. Früher oder später würde sie ein Hieb mit seiner Pranke zerschmettern. Dieser Nervenkitzel entlockte ihr nur ein schrilles Lachen.
Sie schob das Messer ins Futteral
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