Das Flüstern der Nacht
versetzte er ihr einen leichten
Schlag gegen den Ellenbogen und benutzte ihren eigenen Schwung, um sie auf den Rücken zu werfen.
Sie wollte sich aufrappeln, aber er ließ sich auf sie fallen, umklammerte ihre Handgelenke und hielt sie fest. Immer wieder versuchte sie, ihm ihr Knie zwischen die Beine zu rammen, aber damit hatte er gerechnet, und im nächsten Moment drückte er mit seinem ganzen Körpergewicht seine Knie auf ihre Schenkel. Die Kraft, die sie aus der Magie bezog, hatte sie mit dem Sonnenaufgang verloren, wie es jeden Tag passierte, und so schaffte sie es nicht, ihn von sich wegzustemmen. Sie konnte nur noch schreien und planlos um sich schlagen.
»Hör endlich auf mit dem Gezappel«, knurrte er. »Es nützt dir ja doch nichts!«
»Was hab ich denn falsch gemacht?«, zeterte Renna. »Hast du nicht genau das gewollt? Jemanden, der dich nicht behindert? Der keine Angst hat vor der Nacht?« Sie zerrte an seinen Armen, doch seine Hände waren wie Eisenklammern. Ihre Gesichter waren nur wenige Zoll voneinander entfernt.
»›Gewollt‹ habe ich gar nichts, Ren«, erwiderte Arlen. »Außer dich aus einer schlimmen Lage herauszuholen. Es war mir völlig egal, ob du mich magst oder nicht. Ich hatte bestimmt nicht die Absicht, dich zu irgendetwas zu drängen.«
Renna hörte auf sich zu wehren. »Du hast mich zu nichts gedrängt. Du hast mich nur dazu gebracht, gründlich über mich selbst nachzudenken. Alles, was ich sonst getan habe, entsprang meinen eigenen Wünschen. Wenn du mich morgen irgendwo zurücklässt, werde ich auch weiterhin meine Haut mit Siegeln bemalen. Ich gehe nicht mehr ins Gefängnis zurück, jetzt, wo ich den Geschmack der Freiheit gekostet habe.«
Sie spürte wie sein Griff schwächer wurde, und wenn sie gewollt hätte, hätte sie sich losreißen können; doch in Arlens Augen sah sie etwas, einen Funken von Verständnis, der ihr vorher noch nie aufgefallen war.
»Ich habe oft an die Nacht gedacht, als wir auf unserem Heuboden Bussi-Bussi gespielt haben«, gestand sie. »Damals hielt ich den Kuss für ein Versprechen, und noch Jahre später fühlte ich ihn auf meinen Lippen, während ich auf deine Rückkehr wartete. Ich glaubte immer, du würdest eines Tages kommen und mich holen. Bis auf Cobie Fischer habe ich keinen anderen geküsst, und das auch nur, weil es der einzige Weg war, nicht mit meinem Dad allein zu bleiben. Cobie war ein guter Kerl, aber wirklich geliebt habe ich ihn nicht, und ihm ging es mit mir genauso. Wir kannten uns ja kaum.«
»Als wir beide Kinder waren, kanntest du mich doch auch nicht«, wandte Arlen ein.
Sie nickte. »Ich hatte auch keine Ahnung, was eine Verlobung bedeutet, oder dass das, was Lainie und Dad machten, Unrecht war. Damals verstand ich vieles nicht, was ich heute weiß.«
Sie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, und ihr blieb gar nichts anderes übrig, als sie laufen zu lassen. »Ich habe gesehen, was du bist und wie du lebst. Illusionen mache ich mir nicht. Trotzdem könnte ich dir ein Eheweib sein. Ich möchte dich gern heiraten, wenn du mich haben willst.«
Er sah sie weiterhin schweigend an, aber seine Augen verrieten ihr einiges. Dann beugte er sich noch dichter über sie. Ihre Nasenspitzen berührten sich leicht, und ein wohliger Schauer durchrieselte ihren Körper.
»Manchmal kann ich heute noch den Kuss fühlen«, flüsterte sie, schloss die Augen und öffnete die Lippen. Einen Moment lang war sie sich sicher, dass er sie küssen würde, doch er ließ ihre Arme los und wälzte sich von ihr herunter. Verdutzt schlug sie die Augen wieder auf und sah, wie er sich auf die Füße stellte und abwandte.
»Du weißt nicht so viel, wie du glaubst, Ren«, murmelte er.
Vor Enttäuschung hätte sie am liebsten geschrien, doch die Traurigkeit, die in seiner Stimme mitschwang, besänftigte sie. Dann schnappte sie nach Luft und richtete sich auf den Knien auf.
»Beim Schöpfer, du bist bereits verheiratet!« Sie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Aber Arlen erwiderte ihren Blick und fing plötzlich an zu lachen. Nicht höflich, als gäbe er vor, sich über einen Witz zu amüsieren, auch nicht zynisch, um jemanden zu kränken, sondern er lachte aus vollem Hals, unverstellt und hemmungslos. Es packte ihn so sehr, dass er sich mit einer Hand an Schattentänzer abstützen musste. Sie merkte, wie sich bei diesem Gelächter ihre Lungen weiteten, ihre Ängste verflogen. Etwas in ihr gab nach, und sie stimmte in das Lachen ein,
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