Das Flüstern der Nacht
mit ihm verbunden.«
Jardir nickte.
»Wenn du die Nacht überlebst, kommen im Morgengrauen die dama’ting zu dir«, fuhr Qeran fort.
Jardirs Blick huschte zu seinem Mentor. »Die dama’ting ?«, wiederholte er. Vor einem Kampf mit den alagai war ihm nicht bange, aber die dama’ting flößten ihm immer noch Furcht ein.
Qeran nickte. »Eine von ihnen wird da sein, um deinen Tod vorherzusehen«, erklärte er, wobei er ein Schaudern unterdrückte. »Nur mit ihrem Segen wirst du ein dal’Sharum .«
»Sie verraten einem, wann man sterben wird?«, fragte Jardir erschüttert. »Aber ich will es gar nicht wissen.«
Qeran schnaubte durch die Nase. »Sie verraten es dir nicht, Junge. Allein die dama’ting dürfen die Zukunft kennen. Aber ob du als Feigling stirbst oder als großer Held, offenbart sich ihnen, noch ehe du den Bido ablegen und die Tracht eines Kriegers tragen darfst.«
»Ich werde nicht als Feigling sterben«, trumpfte Jardir auf.
»Davon bin ich auch überzeugt«, pflichtete Qeran ihm bei. »Aber du kannst durch deine eigene Dummheit zu Tode kommen, wenn du nicht auf deinen ajin’pal hörst oder nicht gut genug aufpasst.«
»Ich werde alles tun, was er mir sagt«, beteuerte Jardir.
»Hasik hat sich freiwillig als dein ajin’pal gemeldet«, erklärte Qeran, und deutete auf den Krieger.
In den zwei Jahren, seit Hasik die schwarze Kluft der Krieger trug, war er noch ein gutes Stück gewachsen. Er war siebzehn Jahre alt und hatte durch das üppige Essen der dal’Sharum kräftige
Muskeln entwickelt. Jardir war gut einen Fuß kleiner als er und wog vielleicht die Hälfte.
»Keine Angst«, schmunzelte Hasik. »Der Sohn von Pisse ist bei mir sicher aufgehoben.«
»Der Sohn von Pisse holte seinen ersten alagai volle drei Jahre früher herunter als du, Pfeifer«, erinnerte Qeran ihn. Hasik behielt sein Lächeln bei, aber um seine Lippen zuckte es.
»Er wird dem Stamm der Kaji zur Ehre gereichen«, stimmte er zu. »Sofern er überlebt.«
Jardir erinnerte sich an das Geräusch seines brechenden Arms und daran, was Hasik ihm hinterher geschworen hatte. Er wusste, dass Hasik das geringste Anzeichen für Ungehorsam zum Vorwand nehmen würde, ihn zu töten, ehe er in die Kriegerkaste aufstieg und ihm ebenbürtig war.
Deshalb nahm Jardir die Beleidigung an, so wie er Schmerzen umarmte, und die Kränkung glitt von ihm ab, ohne ihm zu schaden. Wenn er sich in dieser Nacht behauptete, war er ein dal’Sharum , der jüngste seit Menschengedenken, und Hasik brauchte ihn nicht mehr zu kümmern.
Ihr Trupp wartete in der zweiten Ebene, versteckt in einem Hinterhalt. In der Mitte eines kleinen freien Platzes befand sich eine verborgene Grube, die bald mit alagai gefüllt sein sollte, um sie dann den tödlichen Strahlen der Sonne auszusetzen. Jardir umklammerte seinen Speer und rückte seinen Schild zurecht, um die Schulter zu entlasten. Die Waffen wogen schwer, doch die Fesselung drückte ihn am meisten. Ein vier Fuß langer Lederriemen verband seinen Knöchel mit Hasiks Taille. Unbehaglich scharrte er mit dem Fuß.
»Wenn du mich behinderst, ersteche ich dich mit dem Speer und schneide den Riemen durch«, drohte Hasik. »Aus Rücksicht auf dich lasse ich mir meinen Ruhm nicht schmälern.«
»Ich werde dir folgen wie dein Schatten«, versprach Jardir, und Hasik stieß einen Grunzer aus. Er fischte eine kleine Feldflasche aus seiner Kleidung, entstöpselte sie und trank einen großen Schluck. Dann reichte er Jardir die Flasche.
»Trink, das macht dir Mut«, behauptete er.
»Was ist das?«, fragte Jardir, nahm die Flasche und schnupperte. Das Zeug duftete nach Zimt, aber der scharfe Geruch stach ihn in der Nase.
»Couzi«, antwortete Hasik. »Fermentiertes Getreide und Zimt.« Jardir riss vor Staunen die Augen auf. » Dama Khevat sagt, der Evejah verbietet den Genuss von Getränken, die aus fermentiertem Getreide oder Obst hergestellt werden.«
Hasik lachte. »Den dal’Sharum im Labyrinth ist alles erlaubt!«, gab er zurück. »Trink! Gleich beginnt die Nacht!«
Jardir musterte ihn zweifelnd, doch überall im Hinterhalt sah er andere Krieger, die aus ähnlichen Flaschen tranken. Mit einem Achselzucken setzte er die Flasche an die Lippen und genehmigte sich einen tiefen Zug.
Der Couzi brannte in seiner Kehle, er musste husten und spuckte einen Teil wieder aus. Er spürte, wie das starke Getränk in seinem Inneren eine Glut entfachte und in seinem Magen wühlte wie eine Schlange. Lachend klatschte Hasik ihm
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