Das Flüstern der Nacht
bist kein Sharum . Die Sharum sind dein Arm in der Nacht, und dieser Arm muss stark sein.«
Der Andrah stieß ein Grunzen aus. »Du bist dreist«, meinte er. »Aber ich finde, dass jeder Mann, der sich eine dama’ting zur Gemahlin nimmt, Mut besitzen muss.«
Jardir erwiderte nichts darauf.
»Du hast ihn absichtlich provoziert, dich anzugreifen«, fuhr der Andrah fort. »Zweifellos dachtest du, für einen tapferen Mann sei dies der richtige Weg, den Tod zu finden.«
Jardir schwieg immer noch.
»Aber hätte er dich angegriffen, hätte er nur bewiesen, was für ein Narr er ist. Und für Narren bringt Everam wenig Geduld auf.«
»Ja, Heiligkeit«, bekräftigte Jardir.
»Und jetzt ist er tot. Mein Freund, ein Mann, der unzähligen alagai die Sonne zeigte, lag schmachvoll hingestreckt am Boden, weil du ihm nicht den gebührenden Respekt erweisen konntest!«
Jardir schluckte krampfhaft. Der Andrah sah aus, als wolle er sich auf ihn stürzen und ihn schlagen. Diese Begegnung verlief nicht so, wie Inevera es ihm versprochen hatte, und auffällig war, dass sie dieser Audienz fernblieb. Um Unterstützung heischend schaute er sich im Raum um, aber während der Andrah sprach, hielten die Damaji die Blicke gesenkt, und die Damaji’ting betrachteten ihn nur, als wäre er Ungeziefer.
Der Andrah seufzte und schien in sich zusammenzusinken. Dann watschelte er zu seinem Thron zurück und ließ sich schwerfällig darauffallen. »Es schmerzt mich, wenn ich mit ansehen muss, wie ein Mann, der im Leben so viel Ruhm und Ehre errungen hat, in Schande stirbt«, erklärte er. »Mein Herz schreit nach Vergeltung, aber es ändert nichts daran, dass der Sharum Ka tot ist, und ich
wäre ein Narr, wenn ich die Tatsache missachtete, dass sich die Damaji zum ersten Mal seit Jahrhunderten darüber einig sind, wer sein Nachfolger sein soll.«
Abermals huschte Jardirs Blick zu den Damaji hinüber. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber ihm schien, als hätte Amadeveram ihm leicht zugenickt.
»Du wirst Sharum Ka sein«, erklärte der Andrah kurz und bündig. »Die Nacht gehört dir.«
Jardir breitete die Hände aus, beugte sich auf den Knien nach vorn und drückte seine Stirn auf den dicken, gewebten Teppich vor dem Thron. »Ich werde dein starker Arm in der Nacht sein«, gelobte er.
»Heute Abend gebe ich meine Entscheidung im Sharik Hora bekannt«, erklärte der Andrah . »Du kannst gehen.«
Abermals berührte Jardir mit seiner Stirn den Boden und dachte daran, was Inevera ihm aufgetragen hatte. Die Damaji begannen bereits zu murmeln. Wenn er sprechen wollte, dann musste er es jetzt tun.
»Heiligkeit«, begann er und sah, wie der Blick des Andrah unwillig zu ihm zurückkehrte. »Ich erbitte deinen Segen und den der Damaji , mir zum Zeichen der Einigkeit unter den Sharum aus jedem Stamm eine fruchtbare Gemahlin nehmen zu dürfen.«
Der Andrah starrte ihn fassungslos an, ebenso die Damaji . Sogar die Damaji’ting regten sich und bekundeten ihr plötzliches Interesse.
»Das ist eine ungewöhnliche Bitte«, entgegnete der Andrah nach einer Weile.
»Ungewöhnlich?«, brauste Amadeveram auf. »So etwas hat es noch nie gegeben! Du bist ein Kaji! Niemals werde ich über solche Ehen meinen Segen sprechen …«
»Das brauchst du auch nicht«, fiel Aleverak ihm ins Wort und lächelte erfreut. »Ich bin nur allzu gern bereit, die Zeremonie durchzuführen, sollte sich der Sharum Ka eine Gemahlin aus dem Stamm der Majah wünschen.«
»Ich zweifle keineswegs daran, dass du überglücklich wärst, das reine Blut der Kaji zu vermischen«, knurrte Amadeveram, aber Aleverak ließ sich nicht provozieren, sondern strahlte nur über das ganze Gesicht.
»Und ich werde eine Hochzeit mit einer Tochter der Sharach segnen«, warf Damaji Kevera von den Sharach ein. Binnen kurzem folgten die übrigen Damaji seinem Beispiel, denn alle waren ganz erpicht darauf, auf Dauer eine Stimme am Hof des Ersten Kriegers zu haben.
»Dem kannst du doch nicht zustimmen!«, wandte sich Amadeveram an den Andrah .
»Ich bin der Andrah , nicht du, Amadeveram«, kam die prompte Antwort. »Wenn der Sharum Ka durch diese Vermählungen Einigkeit unter den Stämmen herstellen will und die Damaji einverstanden sind, sehe ich keinen Grund, ihm den Wunsch zu verweigern. Genau wie ich gehört der Erste Krieger keinem Stamm an, sobald er seinen Turban aufsetzt.«
Er drehte sich um, und zum ersten Mal erlebte Jardir, dass er das Wort an die Damaji’ting richtete. »Für diese
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