Das Flüstern der Nacht
dich hier unter die Gesellschaft von Männern zu mischen?«, herrschte Jardir ihn an.
»Verzeih mir, Erhabener«, erwiderte Abban, sank im Staub auf Hände und Knie nieder und drückte seine Stirn gegen den Boden. Shanjat, der nun ein kai’Sharum war, lachte und trat ihm in den Hintern.
»Sieh dich doch an«, knurrte Jardir. »Du kleidest dich wie eine Frau und protzt mit deinem vulgären Reichtum, als wolltest du alles verhöhnen, woran wir glauben. Ich hätte dich damals fallen lassen sollen.«
»Bitte, großer Gebieter«, fuhr Abban fort, »nichts liegt mir ferner, als jemanden zu kränken. Ich bin hier, um als Dolmetscher zu fungieren.«
»Dolmetscher?« Jardirs Blick richtete sich auf den anderen khaffit , der sich in Abbans Begleitung befand.
Doch dieser Mann war keineswegs ein khaffit . Das zeigten seine blasse Haut und die hellen Haare, man merkte es an seiner Kleidung und vor allem an dem abgenutzten Speer, den er bei sich trug. Er war ein chin . Ein Fremder aus den Grünen Ländern im Norden.
»Ein chin ?«, fragte Jardir und wandte sich an seinen dama . »Du hast mich hierhergebracht, damit ich mit einem chin spreche?«
»Hör dir an, was er zu sagen hat«, drängte Ashan. »Du wirst staunen.«
Jardir betrachtete den Mann aus dem Norden; noch nie zuvor hatte er einen chin von nahem gesehen. Er wusste, dass Kuriere, die aus den Grünen Ländern angereist kamen, manchmal den Großen Basar aufsuchten, aber das war kein Aufenthaltsort für Männer, und seine Kindheitserinnerungen daran waren vage, erzeugten in ihm stets einen Nachgeschmack von Hunger und Scham.
Dieser chin war ganz anders als Jardir sich die Nordländer immer vorgestellt hatte. Er war jung - nicht älter als Jardir gewesen war, als er zum ersten Mal seine schwarze Kriegertracht angelegt hatte - und nicht besonders groß, aber er machte einen abgehärteten Eindruck. Er zeigte die Haltung und den Gang eines Kriegers und begegnete kühn Jardirs Blick, wie es sich für einen wahren Mann gehörte.
Jardir wusste, dass die Männer aus dem Norden den alagai’sharak aufgegeben hatten und sich hinter ihren Schutzsiegeln verkrochen wie Weiber, aber die Sandwüste von Krasia erstreckte sich Hunderte von Meilen weit, ohne eine Möglichkeit, unterwegs eine Zuflucht zu finden. Ein Mann, der diese gefahrvolle Ödnis durchquert hatte, musste den alagai Nacht für Nacht ins Gesicht gestarrt haben. Er mochte kein Sharum sein, aber ein Feigling war er ganz sicher nicht.
Jardir schaute auf Abbans jämmerliche Gestalt herab und unterdrückte seinen Abscheu. »Sprich«, forderte er ihn auf, »aber lass dir nicht zu viel Zeit. Deine Gegenwart beleidigt mich.«
Abban nickte, drehte sich zu dem Mann aus dem Norden um und sagte ein paar Worte in einer harschen, gutturalen Sprache. Der Fremde antwortete mit ernster Miene und stieß den Speerschaft auf den Boden, wie um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
»Das ist Arlen asu Jeph am’Strohballen am’Bach«, übersetzte Abban und wandte sich wieder Jardir zu, hielt den Blick jedoch gesenkt. »Er kommt gerade aus Fort Rizon im Norden, entbietet dir seine Grüße und bittet darum, heute Nacht zusammen mit den Männern von Krasia im alagai’sharak kämpfen zu dürfen.«
Jardir war sprachlos. Ein Nordländer, der kämpfen wollte? So etwas hatte man noch nie gehört.
»Er ist ein chin , Erster Krieger«, lästerte Hasik. »Entstammt einem Volk von Feiglingen. Er ist nicht würdig, in den Kampf zu ziehen!«
»Wenn er ein Feigling wäre, stünde er jetzt nicht hier«, wies Ashan ihn zurecht. »Viele Kuriere sind nach Krasia gekommen, aber nur dieser hat unseren Palast aufgesucht. Man würde Everam beleidigen, wenn man den Wunsch dieses Mannes missachten und ihn nicht kämpfen ließe.«
»In der Schlacht kehre ich keinem Nordländer den Rücken zu«, knurrte Hasik und spuckte vor dem Kurier aus. Viele der Sharum nickten und grunzten zustimmend, trotz der Worte des dama . Wie es schien, war der Einfluss der Geistlichen doch begrenzt.
Jardir dachte sorgfältig nach. Jetzt verstand er, warum Ashan ihm die Entscheidung überlassen wollte. Wie auch immer seine Antwort ausfiel, jeder Entschluss konnte ernsthafte Auswirkungen nach sich ziehen.
Sein Blick fiel wieder auf den Nordländer, und er war neugierig, wie er sich in einer Schlacht bewähren würde. Inevera hatte vorhergesehen, er könnte eines Tages die Grünen Länder beherrschen, und der Evejah lehrte, man müsse seine Feinde kennen, ehe man in den
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