Das Flüstern der Nacht
zerschmettern konnte.
Nie hätte Jardir geglaubt, dass ein Dämon derart riesenhafte Ausmaße annehmen könnte. Seine Männer standen da wie erstarrt - ob aus Furcht oder vor Verblüffung konnte er nicht sagen. Nur der Nordländer schien nicht überrascht zu sein, sondern sah dem Monstrum mit unverhohlenem Hass entgegen.
Aber warum? Es konnte kein Zufall sein, dass eine solche Kreatur in derselben Nacht auftauchte, in der ein chin vor der Treppe zu seinem Palast erschien und darum bat, kämpfen zu dürfen. In welcher Verbindung stand er zu diesem Dämon?
Jardir verwünschte sich, weil er die barbarische Sprache des Nordländers nicht beherrschte.
»Worauf wartet ihr?«, brüllte er den Skorpion-Mannschaften zu. » Alagai ist alagai! Tötet ihn!«
Seine Worte brachen den Bann, und die Männer beeilten sich zu gehorchen. Der Fremde ballte die Faust, als sie ihr Ziel anvisierten und die Stachel lossausen ließen, dicke Speere mit wuchtigen Eisenspitzen. Sie schossen hoch in den Himmel hinauf, um die Stachel in einem Bogen mit zerschmetternder Wucht niederrauschen zu lassen.
Der gigantische Dämon wurde von fast einem Dutzend Skorpionstacheln direkt getroffen, aber alle zersplitterten an seinem
Panzer und lenkten den alagai nicht von seinem Weg ab. Er kreischte seine Wut heraus und stapfte unbeirrt weiter.
Plötzlich schien die Stadt verwundbar zu sein. Im Sharik Hora hatte Jardir das Bannzeichnen gelernt, und er wusste, dass jedes Siegel nur gegen eine einzige Art von Dämon seine volle Wirkung entfaltete. Die Siegel an Krasias Mauern waren uralt und noch nie durchbrochen worden, aber hatten sie jemals einer Bestie wie dieser standhalten müssen?
Er packte den Fremden bei den Schultern und drehte ihn herum, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Was weißt du?«, schrie er ihn an. »Was steht uns bevor, verflucht nochmal?!«
Der Nordländer schien ihn zu verstehen und nickte, dann sah er sich suchend um. Er lief zu einer Steinschleuder und berührte den Felsbrocken in der Schlaufe. Dann zeigte er auf den Dämon. »Alagai«, rief er.
Jardir nickte und eilte zu dem Mehnding, der die Maschine bediente.
»Kannst du ihn treffen?«, wollte Jardir von dem Mann wissen.
Der dal’Sharum stieß ein abfälliges Schnauben aus. »Einen so großen alagai ? Ich könnte seinen anderen Arm wegfegen, wenn du es willst.«
Jardir klopfte ihm auf den Rücken. »Reiß ihm den Kopf ab«, schlug er vor, »dann bestreichen wir ihn mit Teer und stellen ihn als Trophäe zur Schau.«
»Fang schon mal an, den Teer zu kochen«, brummte der Krieger, während er die Spannung und Ausrichtung der Waffe justierte.
Der Nordländer rannte zu Jardir und brabbelte hektisch in seiner misstönenden Sprache auf ihn ein. Er ruderte mit den Armen, und seine Aufregung wuchs, als er merkte, dass er sich nicht verständlich machen konnte. Immer und immer wieder deutete er auf die Schlinge und schrie das einzige krasianische Wort, das er zu kennen schien: »Alagai!«
»Er blökt wie ein Kamel«, bemerkte Hasik.
»Sei still!«, zischte Jardir. Er kniff die Augen zusammen, doch dann brüllte der Mann am Katapult: »Fertig!«
»Feuer!«, befahl Jardir. Der Fremde stürmte auf den Krieger zu, der sich anschickte, das Seil zu kappen, aber Hasik packte ihn und stieß ihn brutal zur Seite.
»Ich wusste, dass man einem chin nicht trauen kann, Erster Krieger!«, brauste er auf. »Er will diesen Dämon schützen!«
Jardir war sich da nicht so sicher. Er starrte auf den Mann, der sich heftig gegen Hasiks Griff wehrte. Wieder zeigte er mit dem Finger, dieses Mal die Mauer hinunter, und schrie: »Alagai!«
Unterrichtslektionen, die Jardir längst als Legenden abgetan hatte, stürmten plötzlich auf ihn ein - Geschichten von riesenhaften Dämonen, die zu der Zeit des Ersten Erlösers Krasias Mauern attackiert hatten, und mit einem Schlag fügte sich alles zu einem Gesamtbild zusammen. Der Nordländer hatte nicht auf die Schlinge gezeigt, sondern auf den Felsbrocken darin.
Ein Felsendämon , dämmerte es Jardir zu seinem maßlosen Schrecken.
»Felsendämon!«, donnerte er, aber es war zu spät. Er hörte den Knall, als der Schlaufenarm seine Fracht schleuderte, und musste hilflos mit ansehen, was danach geschah. Hinter ihm stieß der Nordländer ein verzweifeltes Geheul aus.
Der Stein flog durch die Luft, und es schien, als hielten der Fremde und der alagai gleichermaßen den Atem an. Der einarmige Felsendämon hob den Kopf und verfolgte das Geschoss mit
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