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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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herauszufinden.
    »Lügendetektoren?« Tang fragte, als glaubte er, sich verhört zu haben.
    »Ja, Lügendetektoren«, wiederholte Paul.
    »Aber die gibt es doch schon. Was ist das Neue an Ihrem Gerät?«
    »Eine revolutionäre Technik. Wir messen nicht die Ströme im Gehirn, sondern die Herzfrequenz. Das Herz reagiert auf jede Lüge viel sensibler als der Kopf.«
    »Das Herz?«
    »Ja, dem Herzen können Sie nichts vormachen. Ganz erstaunlich, ich habe es vorher auch nicht geglaubt, aber unsere Tests beweisen: Diese Methode ist absolut zuverlässig. Das Gerät wird klein und handlich sein, nicht zu teuer und leicht zu bedienen. Der erste Lügendetektor für den Hausgebrauch sozusagen.«
    »Für den Hausgebrauch?« Tangs Stimme klang immer ratloser.
    »Natürlich nicht nur. Es wird drahtlos auf eine Entfernung von bis zu zwanzig Metern funktionieren. Sie können den Apparat also auch im Büro oder zum Beispiel bei Vorträgen oder auf Pressekonferenzen anwenden, ohne jemanden daran anschließen zu müssen. Wir glauben, dass es dafür einen großen Markt gibt. Gerade in der heutigen Zeit. Meinen Sie nicht auch?«
    »Ich... ich weiß nicht. An welche Märkte denken Sie?«
    »An China. Europa. Amerika. Überall, wo gelogen wird.«
    Tang schwieg und schaute ihn nachdenklich an. Es war kein Blick, der einschüchtern sollte, er hatte einen fragenden Ausdruck im Gesicht, und Paul stellte mit Erstaunen fest, dass dieser Mann ihm nicht so unsympathisch war, wie er vermutet hatte. Wie würde er jetzt reagieren? Seine Ratlosigkeit zugeben? Paul wartete gespannt auf eine Antwort.
    »Vorteil Leibovitz«, sagte Tang schließlich. »Sie gefallen mir. Ich kann noch immer nicht mit Sicherheit sagen, ob Sie mich auf den Arm nehmen oder nicht.«
    Statt zu antworten, erlaubte sich Paul ein Grinsen, das für einen kurzen Moment über das ganze Gesicht reichte. »Wir suchen«, erwiderte er dann wieder ganz ernst, »noch nach einem passenden Produktnamen. Was halten Sie von ›iLie‹?«
    Nun lachte Tang laut auf: »Das machen Sie verdammt gut. Sie haben ein erstaunliches schauspielerisches Talent.« Er schüttelte ungläubig den Kopf und fragte nach einer kurzen Pause: »Sind Sie nicht hungrig? Wollen wir etwas essen?«
    »Gern.«
    Tang erhob sich, wiegte noch immer überrascht den Kopf hin und her und führte ihn ins Esszimmer. Es war eine Art Speisesaal mit hohen Decken, weißen, bilderlosen Wänden und dunklem Holzfußboden. In der Mitte hing ein weit ausladender Kronleuchter, in dem statt Glühbirnen weiße Kerzen brannten, darunter stand ein ovaler Tisch aus dunkelbraunem Rosenholz, lang und breit genug, um einer großen Gesellschaft Platz zu bieten. Jetzt war nur für zwei Personen gedeckt, Tang und Paul saßen sich in der Mitte der Tafel gegenüber, zwischen ihnen standen mehr als ein Dutzend kleine und große Schalen, in denen die kalten Vorspeisen lagen. Die beiden Kellner verharrten hinter den Stühlen und warteten, dass sich Tang und sein Gast setzten.
    Paul konnte sich nicht erinnern, jemals in einem chinesischen Esszimmer Kerzenschein gesehen zu haben, sie waren normalerweise mit grellem Neonlicht ausgeleuchtet, das Licht der flackernden Flammen verlieh diesem Zimmer eine festliche Atmosphäre, die für Paul, weil sie so untypisch war, etwas Gespenstisches hatte.
    »Ich habe meinen Koch angewiesen, ein Menü aus der Sichuan-Küche zusammenzustellen. Ich hoffe, es ist Ihnen nicht zu scharf!«
    »Ich esse gerne scharf.«
    »Dann müssen Sie unbedingt das Huhn mit der Sauce aus Chiliöl und Sichuan-Pfeffer probieren. Eine Spezialität meines Kochs.«
    Paul nahm mit seinen Elfenbeinstäbchen eine Scheibe des kalten Huhns und tunkte sie in die Sauce. Tang hatte nicht übertrieben, das Fleisch war zart und die Sauce wunderbar gewürzt, scharf, aber nicht zu sehr, er spürte das typische erdige Aroma des Sichuan-Pfeffers, der auf der Zunge ein leicht taubes Gefühl zurückließ. Er probierte die Gurke mit der Senfsauce, die teegeräucherte Taube und das kalte Schwein mit der Knoblauchsauce.
    »Köstlich. Ihr Koch ist ein Meister.«
    »Danke. Ich habe vor einem Jahr in Chengdu in seinem Restaurant gegessen und ihn noch am selben Abend engagiert. Versuchen Sie das ›Bang-bang‹-Huhn. Einmalig.«
    Diese Delikatesse kannte Paul schon aus Davids Küche, und er liebte diese absonderliche Mischung verschiedener Geschmacksrichtungen, süßsauer, im nächsten Moment scharf und salzig und gleichzeitig mit einem nussigen Unterton. Es war fast

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