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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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geschippt hat und auch keine Autos auf den Straßen unterwegs sind. Alles ist still, und es ist schön. Für eine Weile. Dann wird es unheimlich, eine Stille so groß, dass du schreist, nur um deine eigene Stimme zu hören, aber die Natur verschluckt jeden Laut.

Calli
    Calli rannte den Broadleaf Trail hinunter, bis er vom River Bottom gekreuzt wurde und sich steil bergab zum Bach hinunterwand. Jede Kuhle oder Anhöhe im Wald hatte ihren ganz besonderen Duft; süße Dotterblumen, beißende wilde Zwiebeln, stinkendes, verrottendes Laub. Jede Mulde und Ecke hatte ihr eigenes Klima, warm und feucht, kühl und luftig. Als Calli hinunter zum Bach und tiefer in den Wald hineinlief, fiel die Temperatur, wuchsen die Bäume näher beisammen, wurde die Vegetation um ihre Knöchel immer dichter.
    Calli konnte Griffs schwere Schritte auf dem oberen Weg hören. Ihre Brust brannte bei jedem Atemzug, aber sie rannte weiter, dürre Baumstämme und schroffe Felsvorsprünge verschwommen in ihren Augenwinkeln. Kleine Sonnenflecken tauchten kurz vor ihr auf dem Boden auf. Seitenstiche ließen sie langsamer werden und schließlich anhalten. Sie lauschte vorsichtig. Der schmale Bach gurgelte, ein Kardinal rief, und die Insekten summten. Calli suchte nach einem Ort, um sich zu verstecken. Abseits des Pfads entdeckte sie mehrere umgefallene Bäume, die kreuz und quer übereinanderlagen. Dahinter könnte sie sich vielleicht für einen Moment ausruhen, ohne gesehen zu werden. Sie kletterte über den knorrigen Haufen und sprang vorsichtig auf der dem Weg abgewandten Seite auf den Boden. Nachdem sie sich gesetzt hatte, zog sie Äste und Zweige zu sich heran, um ihr pinkfarbenes Nachthemd zu verdecken. Sie versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Sie wollte nicht, dass Griff sie durch ihr Keuchen fand und sie hier inmitten der Baumstämme gefangen wäre, ohne jede Möglichkeit, schnell zu fliehen.
    Minuten vergingen, ohne dass Griff kam. Nur das beruhigende Klopfen eines Spechts irgendwo über ihr durchdrang die üblichen Geräusche des Waldes. Trotz der Hitze zitterte Calli und rieb sich über die Gänsehaut an den Armen. Die Wut, die Griff ausgestrahlt hatte, schmerzte in Callis Erinnerung, und sie versuchte, die Augen davor zu verschließen. Jener Tag .
    An jenem Dezembertag war es kalt gewesen. Sie war vier, und Ben war mit ein paar Freunden Schlitten fahren. Ihre Mutter, schwer und unbeweglich durch ihre Schwangerschaft, machte ihr heißen Kakao, ließ weiße, weiche Marshmallows in die heiße Schokolade plumpsen, dann fügte sie noch einen Eiswürfel hinzu, um das Getränk etwas abzukühlen. Calli saß am Küchentisch, ein Blatt Papier vor sich und viele bunte Stifte darum verteilt.
    „Wie sollen wir das Baby nennen, Calli?“, fragte ihre Mutter, als sie den Kakao vor sie hinstellte. „Pass auf, das ist heiß; verbrenn dir nicht die Zunge.“
    Calli legte ihre Zeichnung zur Seite, ein Bild von einem Weihnachtsbaum und einem dicken Weihnachtsmann. „Popsicle, glaub ich“, antwortete sie, während sie den Löffel gegen einen schmelzenden Marshmallow drückte.
    „Eis am Stil?“, lachte ihre Mutter. „Das ist ein ungewöhnlicher Name. Hast du noch einen anderen Vorschlag?“
    „Cupcake“, kicherte Calli.
    „Wird das ihr zweiter Name?“
    Calli nickte, ihr Lächeln war überzogen von klebrigen weißen Marshmallows. „Geburtstagstorte“, sagte sie. „Popsicle Cupcake Birthday Cake, so wird sie heißen.“
    „Das gefällt mir“, sagte ihre Mutter grinsend. „Aber ich fürchte, ich werde jedes Mal Hunger kriegen, wenn ich ihren Namen sage. Wie wäre es mit Lily oder Evelyn? Evelyn war der Name meiner Mutter.“
    Calli zog eine Grimasse und nahm vorsichtig einen Schluck Kakao. Sie fühlte, wie die heiße Flüssigkeit ihre Kehle hinunterrann und wedelte mit ihrer Hand vor dem offenen Mund, als ob sie damit die Wärme fortwinken wollte.
    Die Hintertür öffnete sich und brachte einen Schwall eisiger Luft herein, der Calli aufquietschen ließ. „Daddy!“, rief sie. „Daddy ist zu Hause.“ Sie stellte sich auf ihren Stuhl und streckte die Arme nach ihm aus, klammerte sich dann an seinen Hals, als er an ihr vorbeiging. Die Kälte, die an seinem Parka klebte, sickerte durch ihr Sweatshirt. Ihr Vater versuchte, Calli wieder zu Boden zu lassen.
    „Nicht jetzt, Calli. Ich muss mit deiner Mutter reden.“ Calli ließ jedoch nicht los, als er sich linkisch ihrer Mutter näherte. Schließlich zog er sie zu sich herum, sodass sie auf seiner

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