Das Flüstern der Stille
drüben an meinem Schreibtisch sitzen und die Stille genießen.“ Mr. Wilson lächelte sie aufmunternd an, stand auf und ging hinüber zu dem alten Eichentisch in der Ecke des Raumes. Er setzte sich auf seinen Stuhl, verstaute seine langen Beine unter dem Tisch, beugte sich über den Inhalt einer Akte und begann zu lesen.
Calli betrachtete das vor ihr auf dem Tisch liegende Buch. Sie liebte es, zu malen und Geschichten zu schreiben. Sie konnte viele Worte schreiben, auch wenn sie erst in der ersten Klasse war. Sie schrieb Geschichten über Pferde und Feen und Städte unter dem Meer. Sie hatte noch nie einen Brieffreund gehabt, hatte noch nicht einmal an ihren Vater geschrieben, wenn er weit weg bei der Arbeit war. Der Gedanke war ihr nie gekommen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand für das interessierte, was sie zu schreiben hatte. Jeder wollte hören, was sie zu sagen hatte, als ob aus ihren Wörtern Juwelen tropfen würden.
Sie schlug das Buch auf. Seine cremigen, unlinierten Seiten waren seltsam anziehend. Sie hatten die gleichen Fasern wie der Umschlag, jedes Blatt hatte sein eigenes, unverwechselbares Muster. Sanft schloss sie das Buch wieder und wandte sich den Kreiden zu. Sie wählte ein Violett, das den gleichen Schimmer hatte wie die Libellen am Willow Creek, hielt es zwischen ihren Fingern, bewunderte es. In die rechte untere Ecke schrieb sie in Druckbuchstaben langsam und mit großer Sorgfalt ihren Namen: Calli . Sie schaute zu Mr. Wilson, der immer noch in seine Akte vertieft war. Vorsichtig legte Calli die Kreide zurück in die Schachtel und wischte den Staub an ihrer Jeans ab, was schillernde Streifen hinterließ. Dann schob sie den Stuhl zurück, stand auf, nahm das Buch in die Hand und trug es zu Mr. Wilson. Sie hielt es ihm hin.
„Leg es einfach dahin, Calli“, sagte er und zeigte auf den runden Tisch. „Wir werden uns am Donnerstag wiedersehen. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“
Calli wartete ab. War das alles? Kein: „Du musst jetzt sprechen, Calli. Deine Mutter macht sich unnütze Sorgen. Hör auf mit dem Unsinn. Mit dir ist alles in Ordnung!“ Nur „Ich wünsche dir einen schönen Tag“ ?
Calli wandte sich von Mr. Wilson ab, legte das Buch liebevoll auf den Tisch, stieß einen erleichterten Seufzer aus und ging durch die Tür nach draußen.
Ihre zwei halbstündigen Sitzungen mit Mr. Wilson pro Woche verbrachte Calli damit, in ihr Buch zu schreiben und zu malen. Oft malte er auch ein Bild oder schrieb ihr etwas zurück, aber nur, wenn sie ihn in geschriebener Form darum bat. Ihre liebsten Bilder und Geschichten waren die über seinen Hund, Bart. Er erzählte davon, wie Bart Türen mit den Pfoten öffnen konnte und wie er einmal am Tisch gebettelt und tatsächlich das Wort Hamburger in seiner kleinen Hundestimme gesagt hatte. Manchmal musste Calli auf ein Wort zeigen, damit Mr. Wilson es ihr vorlas, aber meistens konnte sie allein lesen, was er schrieb. Sie freute sich auf den Beginn des zweiten Schuljahrs und ihre Treffen mit Mr. Wilson. Sie fühlte sich sicher in seinem kleinen, stillen Raum mit ihrer Kreide, einem gespitzten Bleistift und ihrem Buch. Mr. Wilson hatte ihr gesagt, dass er das Buch den Sommer über bei sich behalten und es auf sie warten würde, wenn die Schule wieder anfing. In ihrer vorletzten Sitzung im ersten Schuljahr hatte sie ihm die Frage geschrieben, was sie tun würden, wenn das Buch voll wäre. Er hatte geantwortet: „Natürlich ein neues anfangen!“ Das hatte ein Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert.
Calli fragte sich, auf was Mr. Wilson in ihrem Traum gedeutet hatte. Welche Seite in ihrem Buch versuchte er, ihr zu zeigen? Sie wusste es nicht. Sie hatten so viel hineingeschrieben, nichts wirklich Wichtiges, schon gar nicht für Erwachsene, nur dass Mr. Wilson so eine Art hatte, als ob alles, was man schrieb oder tat, wichtig war.
Ein Erdhörnchen flitzte vorbei und schreckte Calli auf. Sie lauschte auf das Gurgeln des Bachs, aber sie hörte nichts außer dem ständigen Zirpen der Grillen.
Bergab, sagte sie sich, bergab ist der Bach, mit kaltem Wasser und silbrigen Fischen. Vielleicht würde sie einen Frosch sehen und violett schillernde Libellen, die glitzerten, wenn sie das Wasser berührten. Bergab.
Deputy Sheriff Louis
Für den Moment gehen Fitzgerald und ich getrennte Wege. Er konzentriert sich darauf, einen Suchhund zu organisieren, und ich versuche, über das GPS seines Handys den Aufenthaltsort von Griff zu
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