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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
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musste sich gewaltsam von diesen Überlegungen losreißen. »Sie täuschen sich. Und wenn Ihnen mein Vater all diese Geschichten erzählt hat, dann wohl nur, um bei Ihnen Eindruck zu schinden«, sagte sie.
    »Was bringt dich zu der Vermutung, er hätte damit Eindruck bei mir schinden können?« Er sah für einen Moment beleidigt aus, bemühte sich aber umgehend um einen versöhnlicheren Ton. »Er hat mir bestimmte Details erzählt und die Hintergründe erklärt, aber seine ganze Geschichte war ein offenes Geheimnis – er steckte nun mal ganz tief drin.« Sie versuchte, seine Informationen mit den Ereignissen des letzten Tages in Verbindung zu bringen. »Zieh besser keine voreiligen Schlüsse«, sagte er, als könne er ihre Gedanken lesen. »Ich habe die Vermutung, dass die Morde mit einem Vorfall zu tun haben, der weit in der Vergangenheit liegt. In einem Geschäft, wo Leute schnell mal für fünfzehn, zwanzig Jahre hinter Gittern verschwinden, darf man nie die Feinde vergessen, die man sich in der Vergangenheit gemacht hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand den Tod einer ganzen Familie in Auftrag gibt, der lange Zeit zum Nachdenken gehabt hat.«
    Sie schaute zu Chris und wünschte sich von ihm ein ungläubiges Kopfschütteln. Sie sah in seiner Miene, dass sich seine Gedanken ebenso überschlugen wie die ihren, wenn auch vielleicht in einer anderen Richtung. Sie hätte jetzt gerne mit jemandem geredet, der ihr Zuversicht spendete, doch der Einzige, den sie hatte, war Lucas – und der stellte gerade ihr Leben komplett auf den Kopf.
    »Ich nehme an, Sie können nachvollziehen, dass es mir schwerfällt, all das zu verarbeiten.«
    »Was gibt es da zu verarbeiten? Dein Vater war in Ordnung. Er hatte Erfolg in einem gefährlichen Geschäft. Und jetzt ist er tot.« Und, als sei es eine Fußnote, fügte Lucas hinzu: »Und natürlich bist du jetzt eine vermögende junge Dame.«
    Sie lachte schockiert, als wolle sie sich von allem, was er gerade gesagt hatte, umgehend distanzieren. Und sie wollte, dass Chris diese Reaktion auch registrierte.
    »Ich will diese Art von Geld nicht.«
    »Glaub mir: Es gibt nur eine Art von Geld. Und wenn du anders darüber denkst, wenn du meinst, die Zinsen auf deinem Sparkonto wären sauber, dann hast du wirklich noch viel zu verarbeiten.«
    »Das ist doch lächerlich«, mischte sich Chris plötzlich ein. »Glauben Sie denn ernsthaft, es gäbe keine ethischen Wege, Geld zu verdienen?«
    Lucas sagte nur: »Wir sind da. Vergesst euer Gepäck nicht.« Er stand auf, und sie stellte fest, dass der Zug tatsächlich abbremste.
    Wo immer sie sich auch befanden: Sie mussten hier eigentlich in Sicherheit sein, aber selbst jetzt hetzte sie Lucas durch den Bahnhof. Sie suchte nach einem Schild mit dem Namen der Stadt, sah aber keins. Eine Minute später standen sie vor einem eleganten schwarzen Mercedes.
    Er öffnete gerade den Kofferraum, um das Gepäck einzuladen. »Haben Sie was dagegen, wenn ich diesmal vorne sitze?«, fragte Ella.
    »Wie du möchtest.«
    Sie stiegen ein und entfernten sich schnell von der Stadt, fuhren die Berge hinauf. Auf der Uhr am Armaturenbrett konnte sie sehen, dass es nicht mal sechs Uhr war, zu früh für den Sonnenuntergang, aber unter der Wolkendecke hatte sich Nebel gebildet, der schon nach einigen Minuten in Nieselregen überging und ihr Gefühl verstärkte, sich in einer dunklen Landschaft zu verlieren.
    Lucas zeigte mit dem Finger aufs Handschuhfach. »Da sind CD s drin. Warum suchst du nicht eine raus?« Sie öffnete das Handschuhfach und nahm die oberste CD heraus.
    »Ich liebe Nick Drake«, sagte sie. »Mein Vater hat das Original auf Vinyl.«
    »Ich höre ihn eigentlich erst seit ein paar Jahren.«
    »Hat Ihnen mein Vater das Album empfohlen? Er redete ständig über die Musik aus den Sechzigern.« Sie fragte sich, ob er vielleicht deshalb mit Drogen gedealt hatte – nicht als Krimineller, sondern als jugendlicher Idealist.
    Lucas lächelte. »Dein Vater und ich waren nie … nun, wir haben jedenfalls nie über Musik gesprochen. Die Empfehlung kam von Amazon.« Ella konnte sich ebenfalls ein Lächeln nicht verkneifen. Praktisch jeder Song, den sie liebte, war irgendwie mit einem Augenblick, einer Person, einem Ereignis verbunden – und hier war jemand wie Lucas, der seine Empfehlungen von einer Website bezog.
    Sie schob die CD ein und lehnte sich zurück, als Drakes warme Stimme ertönte, während vor ihr die Scheibenwischer geräuschlos den Takt schlugen.

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