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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
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hin?« Es gab keinen Platz, an dem sie zu Hause war, keinen Ort, an den sie zurückkehren konnte. Es war eine niederschmetternde Erkenntnis, aber sie war inzwischen vom Schmerz so ausgelaugt, dass sie nichts mehr spürte. Es war, als ob die emotionale Erschöpfung bis in die letzte Zelle ihres Körpers, bis an jedes Nervenende vorgedrungen sei. Sie hatte das Gefühl, als gäbe es nichts mehr, was sie noch schockieren oder verletzen könne.
    »Ich bring euch für ein, zwei Tage in meinem Haus unter. Dann fahr ich euch nach Zürich und übergeb euch dem Konsulat.«
    Sie schaute Chris an und realisierte, dass sie über das Thema bereits gesprochen haben mussten, während sie schlief. Das ärgerte sie, auch wenn sie nicht wusste warum.
    »Was werden sie im Konsulat mit mir anfangen?«
    »Ich denke mal, sie werden dich in deine Heimat zurückbringen.«
    »Und wo soll ich dann hin?«
    Lucas sah für einen Moment ratlos drein, meinte dann aber: »Du bist erwachsen. Du kannst machen, was du willst.« Während Lucas offensichtlich in ihr eine Erwachsene sah, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen konnte, kam sie sich selbst sehr hilflos vor – eine verhätschelte Versagerin. Dann schien er es sich offenbar anders zu überlegen. »Vermutlich werden sie dir raten, zu deinem Onkel oder anderen Familienangehörigen zu ziehen.«
    Sie hatte aber keine weiteren Familienangehörigen, und die Tatsache, dass Onkel Simon ein Geschäftspartner seines Vaters war, machte es wahrscheinlich, dass auch er Opfer der Killer geworden war.
    »Und wenn sie meinen Onkel auch umgebracht haben?«
    Er dachte eine Weile darüber nach und wägte die Argumente offensichtlich gegeneinander ab.
    »Ich kann es nicht ausschließen, aber dein Vater war derjenige, der die Verbindungen hatte.«
    »Verbindungen? Verbindungen zur Unterwelt?«
    Sie schaute Chris an und versuchte, aus seinem Gesichtsausdruck abzulesen, ob er nun beeindruckt oder angewidert von der Vorstellung war. Obwohl Lucas so etwas angedeutet hatte, war ihr Vater alles andere als ein typischer Gangster. Wenigstens ihr gegenüber war er immer die Selbstlosigkeit in Person gewesen – etwas verschlossen vielleicht, aber herzensgut.
    Sie schaute Lucas fragend an, der wiederum vielsagend auf Chris blickte – als wollte er so die Frage in den Raum stellen, ob es wohl sinnvoll sei, in seiner Anwesenheit über Familieninterna zu sprechen. Lachhaft – nach dem, was Chris bereits mitbekommen hatte, aber auch angesichts der Tatsache, dass sie von Vaters Geschäften so wenig wusste, schien ihr das das geringste Problem.
    »Ich habe vor Chris keine Geheimnisse.«
    Lucas zuckte mit den Schultern. »Er war sicher kein Gangster«, sagte er. »Er kannte ein paar, aber mit dem organisiertem Verbrechen hatte er nichts am Hut. Ende der Sechziger handelte er mit Drogen und machte ’ne Menge Geld. Er investierte in Immobilien und hatte seine Finger auch im Waffenhandel. Dann kamen Offshore-Banking und Finanztransaktionen, mit denen er das Schwarzgeld anderer Drogenhändler wusch. Und er investierte weiter, kaufte Immobilien, legitime Finanzinstitute, IT-Firmen und so weiter. Er war ein guter Mensch.«
    Sie starrte ihn ungläubig an. Nur die letzten vier Worte schienen auf den Mann zuzutreffen, den sie als ihren Vater kannte. Sie fragte sich, wieso Lucas seine Aufzählung gerade mit diesen Worten beendet hatte – und wieso sie für ihn das angemessene Resümee all der widerlichen Aktivitäten waren, die er gerade beschrieben hatte.
    Er musste sich einfach irren. Wie sonst wäre es vorstellbar, dass ihre Familie derartige Geheimnisse hatte, ohne dass sie jemals auch nur einen Hauch davon mitbekommen hätte? Zumindest ihre Mutter hätte davon wissen müssen, und doch gab es nie Anzeichen von Besorgnis oder Angst, auch nie ein Interesse seitens der Polizei, nie Zweifel an ihrer persönlichen Sicherheit.
    Wenn Lucas recht hatte, war ihr ganzes Leben eine einzige Lüge – mit falschen Erinnerungen und Eltern, die sie überhaupt nicht kannte. Nur Ben war diesbezüglich jungfräulich, weil man ihn genauso im Dunkeln gelassen hatte wie sie selbst. Und nun war er tot, ohne je die Gründe erfahren zu haben.
    Sie fragte sich, wie die Killer wohl vorgegangen waren: Ob man die Familie zunächst zusammengetrieben oder sie einzeln erschossen hatte? Ob Ben überhaupt Zeit gehabt habe, so etwas wie Todesangst zu fühlen? Sie verbot sich die Gedanken an weitere Details, weil die Vorstellung einfach zu bedrückend war.
    Sie

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