Das Fluestern des Todes
etwas zu schroff.
»Aber denkbar wäre es doch. Warum haben sie sich so ins Zeug gelegt, um mich umzubringen – nur um dann einfach aufzugeben? Und die Polizei kann unsere Sicherheit auch nicht garantieren. Sie haben den Personenschutz eingestellt, weil den Sommer über nichts passiert ist, aber das gibt uns noch lange keine Garantie.«
Sie hatte sich fast schon zu weit aus dem Fenster gelehnt. Er musste nun den Eindruck haben, dass sie sich mit diesem Thema ausführlich beschäftigt hatte – was durchaus der Wahrheit entsprach.
Simon verzog allerdings keine Miene »Und aus diesem Grund möchte ich auch, dass du dich mit etwas anderem beschäftigst. Schau dir die Unterlagen an.« Sie legte die Mappe neben sich auf den Stuhl.
Ihr Handy klingelte. »Der Immobilienmakler«, flüsterte sie, als sie das Gespräch annahm. »Hallo?«
»Bist du noch im Savoy?«
Für einen Moment war ihre Nervosität deutlich sichtbar. Glücklicherweise war Simon gerade mit den Snacks beschäftigt. »Oh, hallo Peter. Ja, ich sitze gerade mit meinem Onkel in der American Bar.«
»Kann ich dich in einer halben Stunde abholen?«
»In einer halben Stunde?« Sie schaute Simon fragend an, doch der machte nur eine auffordernde Handbewegung. »Ja, in Ordnung.«
»Ich hol dich ab.«
»Okay. Bis dann.« Sie legte das Handy zur Seite. »Es geht um eine Wohnung in Kensington. Sie machen ein Riesen-Tamtam um die Besichtigung, deshalb möchte ich den Termin nicht verpassen.«
»Mach dir mal keine Gedanken, ich muss ohnehin aufbrechen.« Er nahm noch einen Schluck von seinem Drink und griff zur Aktentasche.
»Simon, ich möchte ja wirklich nicht auf dem Thema rumhacken, aber machst du dir wirklich keine Sorgen, dass man dir irgendwo auflauern könnte? Könnte es nicht sein, dass sie einfach nur einen geeigneten Zeitpunkt abwarten, um uns noch mal aufs Korn zu nehmen?«
Er runzelte die Stirn. »Gelegentlich. Luce hat da mehr Angst, wie du dir sicher vorstellen kannst. Jede Nacht steht sie zwei-, dreimal auf, um nach den Jungs zu sehen. Aber ich denke mir, dass die Person, die Mark tot sehen wollte, inzwischen seine Rache gehabt hat – und dass sie schlau genug ist zu wissen, dass dein oder mein Tod dieser Rache nichts mehr hinzufügt.«
»Denkst du nicht manchmal darüber nach, selbst Rache zu nehmen?«
»Natürlich«, sagte er und wirkte für einen Moment sehr betrübt. »Aber die Ironie ist ja, dass nur Mark diejenigen Leute kannte, die für diesen Job infrage kommen. Wir kennen sie nicht. Wir können uns leider nur auf die Polizei verlassen. Aber es hat ja keinen Sinn, sich in Rachefantasien zu verlieren. Alles, was je zu diesem Thema gesagt wurde, stimmt.«
Sie nickte und schämte sich, dass sie Lucas vor ihm geheim hielt. Natürlich kannte sie all die Klischees, die über die Rache im Umlauf waren – dass sie keinen eigenen Wert hatte und keine Erfüllung bot. Aber sie hatte diesen Weg nun mal eingeschlagen, weil sie einfach wissen musste, wer die Mörder waren – und wenn sie das erst einmal in Erfahrung gebracht hatte: Warum sollten die Leute, die so viel Unheil angerichtet hatten, nicht selbst leiden?
Sie hatte ursprünglich gedacht, sie auf der Suche nach Gerechtigkeit war. Aber Lucas hatte ihr die Augen geöffnet: Letztlich war das nur Selbstbetrug. Gerechtigkeit bedeutete nur eine Gefängnisstrafe – und das reichte ihr nicht. Sie hatte überlebt, sie trug die Verantwortung – daran gab’s nichts zu rütteln. Nein, sie mussten sterben.
Als Lucas sie mit dem Wagen abholte, realisierte sie erst nach ein paar Minuten, dass er den Mercedes aus der Schweiz fuhr.
»Sie sind die ganze Strecke mit dem Auto gefahren? Bis nach England?«
»Es ist eine nette Reise, und ich musste unterwegs sowieso ein paar Leute treffen.«
Sie sah sich im Auto um und hatte das seltsame Gefühl, wieder in seiner Welt zu Hause zu sein. Sie öffnete das Handschuhfach mit den CDs, stellte aber fest, dass ein paar neue dazugekommen waren.
»Sie lernen Französisch?«
»Ich versuch’s zumindest. C’est très difficile .«
Sie war von seinem offensichtlichen Ehrgeiz überrascht – sie hatte ihn eigentlich als einen Menschen kennengelernt, der seine eingespielte Routine nur ungern aufgab. Sie wollte ihn zu seinem plötzlichen Sinneswandel befragen, als er sagte: »Bist du denn nicht neugierig, warum ich angerufen habe – beziehungsweise, wohin wir fahren?«
»Ich gehe mal davon aus, dass Sie auf etwas gestoßen sind, das mich interessieren
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