Das Fluestern des Todes
ging sie in die Küche. Keine Zeit für Raffinesse – sie entschied sich für ein Messer. Sie würde die Augen schließen, daran denken, was er angerichtet hatte, und das Messer in seinen Körper bohren. Sie würde es schon schaffen, sie musste es schaffen.
Sie riss ein paar Schubladen auf. Die Geschirrschublade öffnete sich so geräuschvoll, dass sie einen Blick ins Wohnzimmer warf, um sich zu überzeugen, dass er nicht aufgewacht war. Als sie sich wieder umdrehte, fiel ihr Blick auf den Herd. Sie starrte ihn für eine Weile stumm an und schloss vorsichtig die Schublade.
Gas. Sie konnte das Gas aufdrehen. Irgendjemand hatte ihr einmal erzählt, dass normales Haushaltsgas nicht giftig war. Explosiv war es aber definitiv, und auf diese Weise konnte sie ihren Plan durchführen, ohne auf brutale Gewalt zurückgreifen zu müssen. Eine Explosion würde nicht einmal Verdacht erregen. Es war ein Unfall, höhere Gewalt.
Sie ging wieder ins Wohnzimmer und ergriff vorsichtig eine der brennenden Kerzen, trug sie in die Küche und stellte sie auf die Arbeitsplatte. Sie holte ihr Weinglas, wusch es aus, nahm ihre Handtasche und warf einen letzten Blick auf Brodsky, der im Schlaf nun harmlos und deutlich älter aussah.
Sie war sich nicht sicher, ob es funktionieren würde, aber das machte ihr die Entscheidung eigentlich nur noch leichter. Tief im Innersten war sie davon überzeugt, dass Brodsky an den Morden schuldig war, aber sollte er diesen Anschlag überleben, dann hätte er wohl auch den Galgen oder elektrischen Stuhl überlebt, weil das Schicksal seine schützende Hand über ihn hielt.
Sie drehte alle Herdplatten auf, lauschte dem Chor der Gasdüsen und verließ die Wohnung. Sie ging zügig die Treppe hinunter, weil sie nicht wusste, wie viel Zeit ihr verblieb. Als sie die beiden Teenager bemerkte, die rauchend vor der Haustür auf der Straße standen, drosselte sie ihr Tempo. Der eine von ihnen sah aus der Nähe eigentlich gar nicht wie Ben aus – sein Gesicht war härter und hagerer. Als er sie anschaute, drehte sie ihr Gesicht zur Seite.
Diesmal ging sie in die entgegengesetzte Richtung, auf das prachtvoll erleuchtete Parlamentsgebäude zu. Am Ende der Straße hielt sie sich links, weil sie vermutete, in dieser Richtung auf den Fluss zu stoßen.
Sie wartete und wartete und hatte das Gefühl, als würde eine Zeitbombe in ihrem Kopf ticken. Je länger die Explosion auf sich warten ließ, umso stärker wurden ihre Zweifel. Andererseits war es jetzt zu spät, um noch irgendetwas zu unternehmen.
Wenn er aufgewacht war, wenn die Kerze ausgegangen oder irgendetwas anderes nicht so funktioniert hätte, wie man es gewöhnlich aus dem Kino kennt, hatte sie sich wirklich in eine höchst unangenehme Lage manövriert: Brodsky würde natürlich wissen, dass sie ihn hatte umbringen wollen, und würde beim nächsten Mal nicht mehr so nachsichtig sein.
Doch dann kam die Explosion. Anfangs war sie überhaupt nicht als solche auszumachen, sondern erinnerte eher an einen donnernden Düsenjet am nächtlichen Himmel. Wenig später aber war kein Zweifel mehr möglich. Es war eine Explosion, die vermutlich in der ganzen Stadt zu hören war, gefolgt von einem automatischen Alarm. Es würde nicht lange dauern, bis überall Sirenen aufheulten. Sie war ängstlich und nervös, und ihr Herz raste so schnell, als wäre sie auf Speed.
Sie hielt ein Taxi an und lehnte sich auf der kurzen Fahrt zum Hotel erschöpft und erleichtert zurück. Es gab noch andere Gefühle, die sich zu Wort melden wollten, doch die erstickte sie im Keim. Es gab keinerlei Grund, Brodsky zu bedauern. Und auch keinen Grund, sich wegen Lucas Vorwürfe zu machen.
Sicher, es war ein Menschenleben, das sie auf dem Gewissen hatte, aber sie war willens, diese Bürde zu tragen. Sie war nichts anderes als ein Scharfrichter, der im Auftrag des Staates die Gesellschaft von Kreaturen befreite, die ihr Recht auf Leben verwirkt hatten.
Sie fühlte sich souverän und siegessicher, doch kaum dass sie im Hotel angekommen war, löste sich ihr Hochgefühl in Luft auf. Lucas saß in der Lobby und wartete offensichtlich auf sie. Er hatte sich so platziert, dass er sie beim Hereinkommen nicht übersehen konnte. Sie winkte ihm zu und versuchte, so entspannt wie möglich zu wirken – wie eine Touristin, die gerade von einer Stadtrundfahrt zurückkehrt. Es war sinnlos, ihm etwas vorspielen zu wollen, wo er doch die halbe Wahrheit ohnehin bereits kannte.
Lucas winkte zurück und
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