Das Fluestern des Todes
musstest ihn umbringen? Was ist denn mit den anderen drei Leuten, die bei der Explosion umkamen? Was ist mit dem zweijährigen Kind im Krankenhaus, das nun keine Mutter und Großmutter mehr hat? Musstest du die auch umbringen?« Sie wirkte schockiert und wollte etwas sagen, doch er schnitt ihr das Wort ab. »Mein Gott, du bist doch nicht bescheuert! Wenn du ein Gebäude in die Luft jagst, werden zwangsläufig Menschen dabei sterben.« Sie fing zu weinen an, doch er fühlte sich nicht in der Stimmung, Mitleid mit ihr zu haben. Er hatte sie einmal weinen sehen, und es hatte ihn innerlich zerrissen – aber damals war es aus Liebe gewesen, wegen eines unvorstellbaren Verlustes. Heute bedauerte sie nur sich selbst, und er hatte das dunkle Gefühl, dass ihr die Toten in Budapest noch weniger bedeuteten als ihm selbst.
Vielleicht sogar erheblich weniger. Schließlich machte er sich Vorwürfe, dass er zu ihrem Tod beigetragen hatte. Wenn er Ellas Wunsch gefolgt wäre und Bruno erschossen hätte, wäre nur ein Toter zu beklagen gewesen statt vier. Aber ihm war auch klar, dass selbst diese Logik hinkte. Die einzige Möglichkeit, das Blutbad zu verhindern, hätte darin bestanden, überhaupt nicht für Ella zu arbeiten.
Sie sah zu ihm auf. »Und was passiert jetzt?«
Er war sich nicht sicher, worauf sie hinauswollte, und ging deshalb schnell zum nächsten Punkt über. »Dan nimmt gerade Larsen Grohl unter die Lupe. Sobald er etwas gefunden hat, wird er sich bei dir melden. Ich habe ihm einen Vorschuss gegeben, aber wenn du ihn weiterhin in Anspruch nehmen möchtest – und ich kann ihn nur empfehlen! –, musst du die finanziellen Dinge direkt mit ihm klären. Das ist alles.«
Sie schaute ihn fragend an, sagte dann aber in vorwurfsvollem Ton: »Wie – das ist alles? Ich mache einen einzigen Fehler, und schon fallen Sie mir in den Rücken?«
»Du hast keinen Fehler gemacht. Du wusstest genau, was du getan hast.«
»Und gerade Sie wollen mich dafür verurteilen?«
»Ich verurteile dich nicht. Wir bewegen uns nur in verschiedene Richtungen.« Er wollte noch etwas hinzufügen, ein paar versöhnliche Worte, doch ihm fiel nichts Passendes ein. Er wollte einfach nur weg von ihr, weit weg von dieser ganzen Sache.
»Dann gehen Sie doch.« Ihre Augen waren voller Verbitterung. »Nicht dass ich Sie noch anstecke.«
Er nickte, hielt an der Tür aber noch mal inne. »Ich wünsche dir alles Gute, Ella, aber sollte ich dir noch einmal begegnen, werde ich dich als eine Bedrohung einstufen. Und sollte irgendjemand einen Anschlag auf mein Leben versuchen, werde ich erst mal bei dir anklopfen. Nur damit wir beide wissen, wo wir stehen.«
Sie sah gekränkt aus, aber er wusste, wie gefährlich und unberechenbar sie inzwischen war. Ihre Augen sprachen eine unmissverständliche Sprache: Wo früher nacktes Entsetzen zu sehen gewesen war, funkelte nun eine wilde Entschlossenheit. Er hatte diesen Blick schon bei vielen Menschen gesehen – und ihn oft genug zum Erlöschen gebracht –, aber er wollte gar nicht wissen, was aus ihr werden würde. Er musste schleunigst verschwinden – solange es noch gute Gründe zum Verschwinden gab.
Lucas winkte ein Taxi heran und fuhr quer durch die Stadt zu Dans Wohnung. Er war gerade damit beschäftigt, ein aufwendiges Dinner vorzubereiten – mit der Pistole gleich auf dem Küchentisch. Lucas konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: Dan war der Prototyp des postmodernen Berufskillers, der seine Bewegungen, seine Kleidung, seinen ganzen Lifestyle an den Büchern und Filmen ausrichtete, die er gelesen oder im Kino gesehen hatte.
Natürlich hatte es immer Paradiesvögel gegeben, aber im Unterschied zu ihnen konnte Dan Nägel mit Köpfen machen. Und gerade deswegen empfand er seine Macken immer als amüsant: Die Pistole auf dem Küchentisch war nichts mehr als ein modisches Accessoire, das er im Zweifelsfall überhaupt nicht benötigte, sollte er wirklich in seiner Wohnung überfallen werden.
Lucas betrachtete die klein gehackten Zutaten und das Fleisch, das Dan gerade routiniert tranchierte: »Erwartest du Besuch?«
Dan schüttelte den Kopf. »Kochen ist mein Hobby. Beruhigt die Nerven. Willst du mitessen?«
»Nein, danke. Ich fliege in ein paar Stunden zurück.«
»Dann willst du also wirklich abhauen?«
»Ja. Keine Gefälligkeiten mehr. Der alte Lucas ist tot.«
Dan lächelte. »Gut für dich, dass er dir sein ganzes Geld vermacht hat.« Lucas musste lachen. »Wie hat sie es denn
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