Das Fluestern des Todes
verneinte. Chavanne bedankte sich für den Anruf und schluckte dann einen ganzen Eimer Pillen.«
»Warum hat er nicht versucht zu fliehen?«
»Weil er genau wusste, dass Lucas ihn aufspüren würde. Und Lucas wusste natürlich genau, dass Chavanne es wusste – und genau aus diesem Grund rief er ihn an.« Er nahm einen Schluck. »Aber jetzt kommt der Clou: Ob Chavanne nun vorhatte, Lucas um sein Honorar prellen, ist nicht klar, jedenfalls hinterließ er eine Nachricht, in der es sinngemäß hieß: ›L ist im Anmarsch. Ich bin ein toter Mann. Ich ziehe es vor, auf diese Art aus dem Leben zu scheiden.‹ Irgendwas in der Art. Die französischen Zeitungen bekamen Wind davon und überschlugen sich förmlich. Wer war dieser mysteriöse L, der so viel Angst auslöste, dass ein Mann sich lieber selbst umbrachte, als ihm gegenüberzutreten? So gut war Lucas damals – so gut, dass er nicht mal einen Finger krumm machen musste. Kein Wunder, dass er später so ein gottverdammter Sinnsucher wurde.«
»Eine interessante Geschichte.« Sie fragte sich, ob es wirklich mehr war als nur eine der Geschichten, wie sie auch Brodsky und Lucas erzählt hatten.
Sie wusste nicht mehr, wer noch die Wahrheit sagte, wem sie noch trauen konnte, wer ihre Feinde waren. Aber irgendwem musste sie schließlich trauen, und diese Person war nun Dan – der Mann, der von Lucas ausgewählt worden war, so wie Lucas von ihrem Vater ausgewählt worden war. Andererseits hatte sie ihr Vater sein Leben lang angelogen. »Was haben Sie herausgefunden?«
»Noch nicht allzu viel. Ich bin noch immer dabei, mit einigen potenziellen Informanten Kontakt aufzunehmen. Das ist nun mal das Problem mit Firmen wie Larsen Grohl: Sie beschäftigen Menschen – und Menschen sind so verdammt unzuverlässig. Geben Sie mir noch ein, zwei Wochen, dann sollte ich irgendwas Konkretes für Sie haben.«
»Okay.« Sie nippte lustlos an ihrem Wasser und erhob sich, um wieder zu gehen. Ihre Eile schien ihn zu irritieren, aber sie hatte nicht die Absicht, ihn näher kennenlernen – nicht einmal so gut, wie sie Lucas gekannt hatte. »Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen und genießen Sie Ihren Drink.«
Sie unterschrieb die Rechnung und ging zur Lobby zurück. Sie hatte den Aufzug fast schon erreicht, als sie hinter sich ihren Namen hörte. Sie zuckte zusammen, eine plötzliche Erinnerung überfiel sie, und selbst als sie die Stimme erkannte, befand sie sich noch immer im Alarmzustand. Sie drehte sich um und sah, wie er auf sie zukam.
»Simon, was verschafft mir die Ehre?«
»Oh, ich wollte nur mal wieder vorbeischauen. Hab dich seit einigen Tagen nicht mehr gesehen.«
Sie warf einen Blick zum Eingang der Bar. »Eine gute Idee«, sagte sie lächelnd. »Sollen wir vielleicht im Thames Foyer einen Kaffee trinken? Die Bar hängt mir langsam zum Hals raus.«
Er lachte. »Alles klar?«, fragte er auf dem Weg zum Café. »Du siehst irgendwie … Ich weiß nicht.«
»Mir geht’s gut. Als du meinen Namen gerufen hast, kam ich etwas aus dem Gleichgewicht. Der Killer in Florenz hat mich ebenfalls beim Namen gerufen.«
»Mein Gott, das tut mir unendlich leid.«
»Nun mach dich nicht lächerlich.« Sie setzten sich, tranken ihren Kaffee – und je länger sie sprachen, umso überzeugter war sie, dass er unschuldig war. Sie war sogar kurz davor, ihn auf Larsen Grohl anzusprechen, verzichtete dann aber doch darauf, weil sie nicht den Eindruck vermitteln wollte, hinter seinem Rücken herumgeschnüffelt zu haben.
Trotzdem schien er instinktiv zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Mehrfach fragte er, ob wirklich alles okay war. »Ich glaube, du bist einfach schon zu lange im Hotel – das ist es«, sagte er schließlich. »Wenn man an einem derartigen Ort leben muss, macht einen das zwangsläufig depressiv.«
»Simon, mir geht’s prima – ehrlich. Und glaub mir: Es lebt sich wunderbar in diesem Hotel.«
»Mir wäre trotzdem wohler, wenn du wieder nach Hause kommen und mit uns zusammenleben würdest – zumindest bis du etwas Eigenes gefunden hast.« Er stand auf, um sich zu verabschieden, sagte dann aber noch beiläufig: »Übrigens hab ich versucht, mal bei dir durchzuklingeln … am Dienstag? Oder war’s Donnerstag? Man sagte mir, dass du für ein paar Tage verreist bist.«
Eine Alarmglocke schrillte in ihrem Kopf, doch es war schon zu spät. Die Panik breitete sich unaufhaltsam in ihr aus. Sie hatte vergessen, ihre Spuren zu verwischen – und schlimmer noch: Sie wusste nicht, ob sein
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