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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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»Joseph oder Xavier?«
    »Joseph.«
    »Der Reaktionär?«
    »Nun, wenn er Reaktionär war, war er’s nicht gründlich genug. Er war neugierig. Bedenken Sie, daß dieser treue Sohn der katholischen Kirche genau in dem Moment, als die Päpste anfingen, Bullen gegen die Freimaurer zu erlassen, in eine Loge eintrat, unter dem Namen Josephus a Floribus. Ja, er näherte sich den Freimaurern bereits 1773, als ein päpstliches Schreiben die Jesuiten verurteilte. Natürlich näherte 516
    sich ein Mann wie de Maistre den Logen vom Schottischen Ritus, das ist klar, er war kein bürgerlicher Illuminist im Sinne der Aufklärung, sondern ein Illuminé — und bitte beachten Sie den Unterschied, denn die Italiener nennen die Jacobiner Illuministen, während man in anderen Ländern mit demselben Ausdruck die Anhänger der Tradition bezeichnet, es ist schon wirklich ein kurioses Durcheinander...«
    Agliè nippte an seinem Cognac, zog ein Etui aus fast weißem Metall hervor, entnahm ihm Cigarillos von ungewöhnlicher Form (»Die beziehe ich direkt aus London«, sagte er, »von derselben Firma wie die Zigarren, die Sie neulich bei mir zu Hause probiert haben. Bitte, bedienen Sie sich, die sind ganz vorzüglich...«) und blickte versonnen in die Ferne, während er weitersprach.
    »Tja, de Maistre... Ein Mann von exquisiten Manieren, ihm zuzuhören war ein Genuß. Und er hatte sich große Autorität in den Kreisen der Eingeweihten erworben. Jedoch in Wilhelmsbad enttäuschte er die Erwartungen aller. Er schickte einen Brief an den Herzog, worin er die templetische Herkunft der Freimaurerei entschieden verneinte, desgleichen die Existenz der Unbekannten Oberen und die Nützlichkeit der esoterischen Wissenschaften. Er tat das aus Treue zur katholischen Kirche, aber mit Argumenten der bürgerlichen Aufklärung. Als der Herzog den Brief im Kreise Vertrauter vorlas, wollte es keiner glauben. Weiter erklärte de Maistre, der Zweck des Ordens sei lediglich eine spirituelle Läuterung und die traditionellen Zeremonien und Riten dienten einzig dazu, den mystischen Geist wachzuhalten. Er lobte die neuen Symbole der Freimaurerei, behauptete aber, ein Bild, das mehrere Dinge zugleich darstelle, stelle gar nichts mehr dar. Was nun freilich entschuldigen Sie — ganz eindeutig im Widerspruch zur gesamten hermetischen Tradition steht, denn ein Symbol ist um so machtvoller und bedeutsamer, je vieldeutiger und flüchtiger es ist, was würde sonst aus dem Geiste des Hermes, des Gottes mit den tausend Gesichtern? Was die Templer betraf, so sagte de Maistre bündig, ihr Orden sei im Geiste der Habsucht gegründet und von der Habsucht zerstört worden, das sei alles. Der Savoy-arde konnte nicht vergessen, daß der Orden mit Billigung des Papstes zerschlagen worden war. Nie darf man sich auf 517
    die katholischen Legitimisten verlassen, so glühend ihre hermetische Neigung auch sein mag. Auch seine Antwort auf die Frage nach den Unbekannten Oberen war lächerlich: Es gebe sie nicht, und der Beweis dafür sei, daß wir sie nicht kennten. Worauf ihm erwidert wurde, gewiß kennten wir sie nicht, sonst wären sie ja keine Unbekannten, und sagen Sie selbst, ob Ihnen seine Art zu argumentieren besonders logisch erscheint. Seltsam, daß ein Gläubiger seines Schlages so wenig Sinn für das Geheimnis hatte. Nach all diesen Ausführungen formulierte de Maistre seinen Schlußappell: Kehren wir zum Evangelium zurück, und lassen wir die Narreteien von Memphis! Womit er nur die altbekannte Linie der Kirche vertrat. Begreifen Sie nun, in welchem Klima sich das Wilhelmsbader Treffen vollzog? Nach dem Abfall einer Autorität wie de Maistre sah sich Willermoz in der Minderheit und konnte allenfalls noch einen Kompromiß erzielen. Der templerische Ritus wurde zwar beibehalten, aber jede Aussage über die Herkunft wurde vertagt, im ganzen also ein Fehlschlag. Auf jenem Konvent verlor das Schottentum seine Chance. Wären die Dinge anders gelaufen, hätte sich die Geschichte des Jahrhunderts vielleicht ganz anders entwik-kelt.«
    »Und danach?« fragte ich. »Hat man nichts wieder zusam-menflicken können?«
    »Was gab es denn da noch zusammenzuflicken, um Ihre Terminologie zu benutzen... Drei Jahre später lag ein gewisser Lanz, ein Pfarrer, der sich dem Illuminatenorden ange-schlossen hatte, vom Blitz erschlagen bei Regensburg in einem Wald. Man fand bei ihm Instruktionen des Ordens, die bayerische Regierung griff ein, man entdeckte, daß Weishaupt ein Komplott gegen die

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