Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
dunklen Nebenraum der Mühle zurückgezogen, der bis auf eine alte Werkbank leer war. Nur durch ein Fenster neben der Tür fiel etwas Licht hinein.
»Soll ich die anderen warnen?«, fragte Millycent.
»Tun Sie, was Sie für richtig halten.« Resignation schwang in seiner Stimme mit. Der Mond war vor etwa einer halben Stunde über dem bleigrauen Meer aufgegangen. Aber dunkle Wolken zogen über den Himmel und verschleierten die blasse, kalte Scheibe, die knapp über der See am Horizont stand. »Die Wolken sind sehr dicht. Möglicherweise geschieht gar nichts. Aber falls doch …« Er hielt ihr den aufgerollten Strick hin. »Ich möchte, dass Sie mich an den Holzpfeiler dort fesseln, sobald ich diese Flasche hier ausgetrunken habe. So fest Sie können. Und dann schließen Sie die Tür ab. Sie scheint mir stabil genug zu sein.«
Er hatte die Flasche Gin schon zur Hälfte geleert, die ersten Symptome zeigten sich bereits: Die Monde seiner Fingernägel verfärbten sich schwarz. Hastig schraubte er die Flasche wieder auf und nahm einen weiteren großen Schluck. Dann setzte er sich mit dem Rücken gegen den Holzbalken und ließ sich von Millycent daran festbinden. Wenn er Glück hatte, würde er wegdämmern, ehe der Mond seine volle Kraft entfaltet hatte.
Als das Gewitter genau über ihnen war, begann der Wiederbelebungsversuch. In der Mühle sah es jetzt aus wie im Labor eines verrückten Wissenschaftlers, fand Adrian. Das große, speichenbewehrte Schwungrad, das das Herzstück der Frankenstein’schen Maschine bildete, begann, sich funkenstiebend zu drehen. Der Geruch von verbranntem Ozon hing in der Luft und verriet die starke elektrische Ladung, die im Gebäude herrschte. Byrons Körper lag festgezurrt auf dem mächtigen Holztisch. Er war durch unzählige Schläuche und Drähte mit den ringsum angeordneten Maschinen verbunden. Um seinen Kopf lag ein Kranz aus Elektroden, der fast wie eine Dornenkrone wirkte. Und aus Byrons Hals ragte rechts und links je ein hässlicher, grauer Metallbolzen.
Die fünf Ärzte standen an ihren jeweiligen Plätzen und überwachten die Instrumente. Sollte Frankensteins Technik tatsächlich funktionieren und das Herz des großen Byron wieder zu schlagen anfangen, wären sie in der Lage, ihn mit modernsten medizinischen Mitteln weiterzubehandeln.
Adrian und Isabella hatten sich in eine Ecke verzogen, um niemandem im Weg zu stehen, und sahen völlig gebannt dem unglaublichen Schauspiel zu, als aus dem hinteren Teil der Mühle plötzlich das laute Heulen eines Wolfs erklang. Es schnitt in die Geräusche aus blubbernden Reagenzien, zischenden elektrischen Entladungen und dem Schnaufen der Beatmungsmaschine wie ein Paukenschlag ins Vaterunser. Dann schlug etwas krachend gegen die massive Eichentür des Nebenraums und ließ sie erzittern. Millycent war schockiert. Wenn es Talbot gelungen war, sich loszureißen, musste er über schier übermenschliche Kräfte verfügen. Insgeheim betete sie, dass wenigstens die Tür seinen Schlägen standhielt.
Sie alle konnten hören, wie der Wolf vor Wut aufheulte, als die Tür auch einem zweiten donnernden Schlag nicht nachgab. Isabella klammerte sich ängstlich an Adrian fest. Mama, dachte sie nur. Mama, oh mein Gott.
Einen Augenblick lang war nichts weiter zu hören als die Geräusche der Maschinen. Allen stockte der Atem.
Dann zerbarst klirrend das Fenster neben der Tür. Die Zähne gefletscht und mit vor Speichel triefenden Lefzen, saß eine wolfsähnliche Gestalt im Fensterrahmen. Mit einem einzigen kraftvollen Sprung war sie auf den fast zwei Meter hohen Sims gelangt. Nun schaute sie sich geifernd nach rechts und links um. Das Fell war braun und dicht. Und die langen, gebogenen Klauen hatten die Farbe gelber Zähne.
»Das ist Talbot!«, schrie Millycent und zog ihren Watts Blaster. »Ich weiß nicht, wie, aber er hat sich losgerissen! Zurück! Geht alle zurück!«
Adrian schnappte erschrocken nach Luft.
Der Wolfsmensch knurrte, warf seinen Kopf in den Nacken und stieß ein lautes Geheul aus. Millycent schaltete die Electryn auf volle Stromstärke. Ein Kugelblitz dieser Stärke würde vermutlich sogar einen Werwolf verbrennen. Im Notfall würde sie schießen müssen , um sie alle zu schützen. Und wenn Talbot die Maschinen beschädigte, war auch der Versuch vorbei!
»Nicht schießen! Bitte!«, rief Adrian.
Starr vor Angst stand er mit dem Rücken an der Wand neben Isabella und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Dann schien in
Weitere Kostenlose Bücher