Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
ging die Sonne über der Stadt unter. Leise Musikfetzen wehten vom Quai de Cologny herauf, und die Lichter jenseits des Sees warfen allmählich ihren funkelnden Schein aufs Wasser.
Villa Diodati
Chemin de Ruth, 9, Cologny
Der Chemin de Ruth liegt auf der vom See abgewandten Seite des riesigen Anwesens, das zur Villa Diodati gehörte. Dort auf dem Hügel hatten Purdy und Miller ihren Van geparkt. Von dort, wo sie standen, konnten sie das gesamte Areal vom Chemin Diodati bis zum Chemin Byron unterhalb der Villa gut überblicken. Das bisschen, das sie vom Van aus über die von Purdy an den Laternenmasten installierten Kameras nicht vor die Linse bekamen, holten sie sich von den an den Häusern installierten Überwachungskameras. Für Millycent war es ein Leichtes gewesen, sie anzuzapfen.
Zurzeit war im Zentrum des geteilten Hauptschirms Talbots klappriger Citroën zu sehen. Er war vor etwa 45 Minuten angekommen. Seither parkte der Wagen mit ausgeschalteten Scheinwerfern in der Dunkelheit und nichts tat sich. Niemand war ausgestiegen, nicht mal zum Pinkeln. Es schien, als würde Talbot auf etwas warten. Auf was auch immer. Da sie nicht wussten, was er in dem Haus suchte, blieb ihnen erst mal nichts weiter übrig, als ebenfalls abzuwarten – und zu beobachten.
Dummerweise konnten sie nicht näher als zehn Meter heranzoomen. Mehr gab die Überwachungskamera an der Spitze des Laternenmasts nicht her.
»Ich wäre gern näher am Geschehen dran«, sagte Millycent und lehnte sich in ihren gepolsterten Sitz zurück. »Was hältst du von einer Drohne?«
»Gute Idee. Könnte von mir sein.« Purdy verschränkte die Hände im Nacken. »Aber wir dürfen nicht zu nah rangehen, sonst hören sie uns.«
»Nicht, wenn wir die CA.X-FLY11 nehmen.« Das Kürzel CA stand für Carruthers, den Meister der Feinmechanik. Und die X-FLY11 war im Bereich Minidrohnen so ziemlich das Ausgeklügelteste, was der Agency gegenwärtig zur Verfügung stand.
»Wir haben eine X-FLY an Bord?« Purdy kam aus dem Staunen nicht heraus. »Die Dinger kosten ein Vermögen. Die werden doch sonst nur bei Hochsicherheitseinsätzen …«
Millycent grinste. »Wir haben drei.«
»Du machst Witze!«
Statt einer Antwort zog sie einen gerippten Aluminiumkoffer unter dem Sitz hervor, legte ihn sich auf den Schoß und klappte ihn auf. Und dort lagen sie: drei nigelnagelneue, blitzblanke CA.X-FLYs vom Typ 11. Ihre winzigen, erbsengroßen Leiber aus ultraleichtem Metall glänzten bläulich. Sie sahen gewöhnlichen Stubenfliegen täuschend ähnlich.
»Gibt’s eine Betriebsanleitung?«, wollte Purdy wissen, der die Dinger noch nie in natura gesehen hatte, und sich erst mal mit ihnen vertraut machen wollte.
»Ich hatte vor zwei Monaten eine Einweisung«, sagte Millycent. »Ich weiß, wie man sie fliegt.«
»Hätte ich mir fast denken können.«
Auf dem großen Hauptbildschirm erschien plötzlich Darwin Nights Gesicht. Er sah aus wie immer. Ernsthaft, sorgenvoll und so rotgesichtig, wie es sonst nur Leute mit Weinzuckerallergie und Weltmeister im Wärmflaschenaufblasen sind. »Wie weit sind Sie?«, brummte er.
»Läuft alles nach Plan«, sagte Millycent. »Talbot ist vor Ort. Wir wissen zwar nicht, was er vorhat, aber das finden wir heraus. Noch ist alles ruhig. Wir werden jetzt die Drohnen einsetzen. Wollen Sie uns nicht wenigstens sagen, weswegen der Mann hier sein könnte?«
»Was immer Talbot in der Villa zu finden hofft«, sagte Night, »für uns ist das zweitrangig. Doch falls er tatsächlich etwas findet, bringen Sie es mit.«
»Das heißt, Sie wissen, was er dort sucht, Sir?«
»Ich habe so meine Vermutungen.«
»Ein kleiner Hinweis wäre nett«, sagte Millycent.
»Je weniger Sie darüber wissen, desto besser, Agent Miller«, sagte Night. »Es reicht, wenn Sie sich um die Papiere im Koffer kümmern. Wenn Sie die heil nach London bringen, haben Sie Ihren Auftrag erfolgreich erledigt.«
»Sie sind der Boss, Boss«, sagte sie.
»Aber halten Sie mich zwischendurch auf dem Laufenden. Ich möchte wissen, ob Sie Fortschritte machen.«
Zu Purdys unsäglichem Entsetzen entgegnete Millycent mit einem zuckersüßen Lächeln: »Lassen Sie uns nur machen, Sir. Je weniger Sie darüber wissen, desto besser.« Dann schaltete sie den Bildschirm aus.
Chemin Byron, Cologny
»Warum mieten wir uns nicht einfach irgendwo ein Zimmer?« Adrian steckte sich das letzte Stück Baguette in den Mund und trank einen Schluck Cola hinterher.
»Ein Zimmer mieten?«
Weitere Kostenlose Bücher