Das Frauen-Hormone-Buch
positive Wirkung der Geschlechtshormone auf viele Organsysteme. Der Hormonersatz wurde zum vermeintlichen Jungbrunnen.
Der WHI-Schock
Umso tiefer war der Schock, als im Sommer 2002 die schon mehrfach erwähnten Ergebnisse der WHI-Studie (Womens Health Initiative) veröffentlicht wurden. Wir möchten noch einmal genauer darauf eingehen. Der Ausgang dieser Studie war mit Spannung erwartet worden. Sie umfasste Tausende von Teilnehmerinnen und war nach modernsten wissenschaftlichen Kriterien konzipiert worden. In den drei sogenannten Armen der Studie erhielten die beteiligten Frauen entweder ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat, ein alleiniges Östrogenpräparat (sofern ihre Gebärmutter entfernt war) oder aber ein Scheinmedikament (Plazebo). Der Beobachtungszeitraum war auf zehn Jahre angelegt. Die zentrale Frage war, ob die Hormonersatztherapie vorbeugende Wirkungen gegen organische Erkrankungen bietet, insbesondere vor Herzinfarkt schützt. Denn diese Erkrankung ist bei Frauen über 60 eindeutig die Todesursache Nummer eins.
Das Entsetzen war groß, als die Studie nach sieben Jahren vorzeitig abgebrochen wurde. Bei den Hormonanwenderinnen war nicht nur das Brustkrebs- und Thromboserisiko (Risiko für Blutgerinnsel) angestiegen. Auch die vermeintlich herzschützenden Effekte hatten sich in ihr Gegenteil verkehrt. Frauen, welche ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat einnahmen, hatten gegenüber den Plazeboanwenderinnen eine um 29 Prozent gesteigerte Herzinfarktrate.
Das vorzeitige Ende der WHI-Studie erregte weit über die Fachwelt hinaus Aufsehen. Hier hatte nicht nur ein Medikament in einer klinischen Studie schlecht abgeschnitten, hier stand eine ganze Therapieform zur Debatte. Das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek verkündete in großen Lettern »Das Ende der Östrogen-Ära«. Auch in Europa war die Bestürzung groß. Die Süddeutsche Zeitung betitelte ihren Beitrag über den Abbruch der Studie mit der Überschrift »Tödliche Therapien«. Allerdings meldeten sich auch sehr bald Stimmen von Experten zu Wort, welche den Aufbau und die Durchführung der WHI-Studie scharf kritisierten.
Inzwischen sind mehr als zehn Jahre seit dem Abbruch der WHI-Studie ins Land gegangen. Neue Daten sind hinzugekommen, und die Auseinandersetzung hat sich versachlicht. Nicht zu übersehen ist auch ein weiterer Trend: Die Hormonersatztherapie scheint eine neue, dritte Blüte zu erleben. Allerdings ist es eine Renaissance unter veränderten Vorzeichen. Denn aus dem Schock der WHI-Studie hat man Konsequenzen gezogen – sowohl was die Indikation als auch was die Dosierung der HRT betrifft.
WISSEN
Die WHI-Studie – Warum das ganze Chaos?
Die ungeheure Datenmenge der WHIStudie ist über die Jahre hinweg intensiv analysiert worden und wird es teilweise auch heute noch. Für die schlechten Ergebnisse werden inzwischen hauptsächlich zwei Faktoren verantwortlich gemacht. Zum einen waren die in der WHI-Studie untersuchten Frauen ungewöhnlich alt. Das Durchschnittsalter lag bei 63 Jahren, etwa ein Viertel der teilnehmenden Frauen war sogar älter als 70 Jahre. Vor allem für das Herzinfarktrisiko ist dies von großer Bedeutung, wie neuere Studien nahe legen. Der gefäßschützende Effekt der Hormone entfaltet sich nämlich nur an gesunden Blutgefäßen. Sind diese bereits krankhaft verändert, so kehrt sich der Effekt ins Gegenteil. (Gefäßschutz durch Östrogene, → Seite 95 ). Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an der WHI-Studie ist, dass alle beteiligten Patientinnen das gleiche Präparat in der gleichen Dosierung erhalten haben. Und diese Dosierung wird heute allgemein als deutlich zu hoch empfunden. Viele der unerwünschten Nebenwirkungen einer Hormonersatztherapie sind jedoch dosis abhängig. Eine geringere Dosis brächte möglicherweise andere Ergebnisse.
Für wen kommt heute eine Hormonersatztherapie infrage?
Nicht jede Frau braucht in den Wechseljahren und den Jahren danach unbedingt eine Hormonersatztherapie (HRT), aber viele Frauen würden davon profitieren. Empfohlen wird die HRT allen Frauen mit vorzeitiger Menopause, operativer Entfernung der Eierstöcke in jungen Jahren, und mit starken psychovegetativen Wechseljahrbeschwerden. Einige Ärzte raten zur HRT auch bei beginnender Osteoporose bzw. hohem Osteoporoserisiko oder wenn andere Osteoporosebehandlungen nicht infrage kommen, z. B. wegen Unverträglichkeit. Auch atrophische Veränderungen im Genitaltrakt, die nicht durch lokale
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