Das fremde Gesicht
Wohnung in Connecticut aufgeben, bevor es verkauft war. Was hatte dazu geführt, daß sie nun so plötzlich ihre Meinung geändert hatte? überlegte Stephanie.
Sie schob sich das hellbraune Haar aus der breiten Stirn.
Sie war wieder hungrig und konnte ja schon mal essen.
Sobald Helene kam, konnte sie das Abendessen jederzeit für sie aufwärmen.
Um acht Uhr, als sie über eine Wiederholungssendung aus der Serie Golden Girls lächelte, läutete es am Hauseingang.
Ihr Seufzer war ebenso erleichtert wie irritiert. Helene hatte wahrscheinlich die Arme voller Päckchen und wollte nicht nach ihrem Schlüssel kramen. Sie blickte noch einmal auf den Bildschirm. Die Sendung ging gerade zu Ende. Wenn sie schon so spät kam, hätte Helene dann nicht noch eine Minute warten können? dachte sie, während sie sich vom Sofa hochwuchtete.
Ihr Willkommenslächeln schwand dahin, als ihr ein großgewachsener Polizist mit einem jungenhaften Gesicht gegenüberstand. Ungläubig erfuhr sie, daß Helene Petrovic in Connecticut erschossen worden war.
Bevor Trauer und Schock überhandnahmen, war Stephanies einziger klarer Gedanke, sich verzweifelt zu fragen: Was soll aus mir werden? Vor einer Woche erst hatte Helene von ihrer Absicht gesprochen, ihr Testament zu ändern, das ihren gesamten Besitz der Forschungsstiftung der Manning Clinic vermachte. Jetzt war es zu spät.
21
Dienstag abend um acht Uhr hatte der Betrieb in der Garage fast völlig nachgelassen. Bernie, der häufig Überstunden machte, hatte einen Zwölf-Stunden-Tag eingelegt, und es war Zeit, heimzugehen.
Die Überstunden machten ihm nichts aus. Die Entlohnung war gut und das Trinkgeld ebenfalls. In all diesen Jahren hatte das Extrageld seine elektronische Ausrüstung ermöglicht.
Heute abend war er beunruhigt, als er zum Büro ging, um sich abzumelden. Er hatte nicht mitbekommen, daß der oberste Boß in der Nähe war, als er heute während der Mittagspause wieder in Tom Weickers Wagen saß und rasch das Handschuhfach nach Dingen von Interesse durchsuchte. Als er dann aufschaute, sah er den Boß durch die Windschutzscheibe starren. Der Boß war einfach ohne ein Wort weggegangen. Das war sogar noch schlimmer.
Hätte er ihn angeschnauzt, wäre die Luft wenigstens wieder klar gewesen.
Bernie betätigte die Stechuhr. Der Abendmanager saß in seinem Büro und rief ihn zu sich. Sein Gesicht versprach nichts Gutes. »Bernie, räum deinen Spind aus.« Er hatte ein Kuvert in der Hand. »Das ist ausreichend für Gehalt, Urlaubsanspruch und Krankentage und zwei Wochen Abfindung.«
»Aber …« Bernies Protest erstarb ihm auf den Lippen, als der Manager die Hand erhob.
»Hör zu, Bernie, du weißt genausogut wie ich, daß wir Beschwerden gekriegt haben, weil Geld und Privateigentum aus den Wagen verschwunden sind, die hier in der Garage geparkt werden.«
»Ich hab’ nie was geklaut.«
»Du hattest, verdammt noch mal, kein Recht, Weickers Handschuhfach zu durchsuchen. Du hast es hinter dir.«
Als er nach Hause kam, noch immer wütend und aufgebracht, sah Bernie, daß seine Mutter ein gefrorenes Makkaroni-Käse-Gericht für den Mikrowellenherd hergerichtet hatte. »Es war ein schrecklicher Tag«, beklagte sie sich, während sie die Verpackung aufmachte.
»Die Gören von da unten an der Straße haben vor dem Haus rumgelärmt. Ich hab’ gesagt, sie sollen den Mund halten, und da haben sie mich ’ne alte Kuh genannt. Weißt du, was ich gemacht hab’?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Ich hab’ die Polizei gerufen und mich beschwert. Und dann ist einer von denen hergekommen und war unverschämt zu mir.«
Bernie packte sie am Arm. »Du hast die Cops hierhergeholt, Mama? Sind sie nach unten gegangen?«
»Wieso sollten sie nach unten gehen?«
»Mama, ich will keine Cops hier drin, grundsätzlich.«
»Bernie, ich bin seit Jahren nicht mehr unten gewesen.
Du hältst doch alles sauber da unten, sag mal? Ich will nicht, daß Staub aufsteigt. Meine Nebenhöhlen sind furchtbar.«
»Es ist sauber, Mama.«
»Das hoffe ich auch. Du bist kein ordentlicher Mensch.
Genau wie dein Vater.« Sie schlug die Tür des Mikrowellenherds zu. »Du hast mir am Arm weh getan.
Du hast hart zugepackt. Mach das nicht noch mal.«
»Mach’ ich nicht, Mama. Tut mir leid, Mama.«
Am folgenden Morgen verließ Bernie das Haus wie immer zur Arbeit. Er wollte nicht, daß seine Mutter etwas von dem Rausschmiß erfuhr. Heute jedoch machte er sich zu einer Autowaschanlage auf, die ein paar
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