Das fremde Gesicht
keinerlei persönliche Vorteile von Helene Petrovics Vermächtnis an die Embryonalforschung der Klinik zu erwarten. Nach ihrem Gefühlsausbruch hatte man Stephanie ins Sprechzimmer eines der leitenden Klinikärzte gebracht, der später zu keinem Kommentar über das Gespräch bereit war.
Helenes Anwalt, Charles Potters, war entsetzt, als er von der Episode erfuhr. Am Freitag morgen vor der Gedenkmesse kam er zum Haus und ließ Stephanie mit schlecht verhohlener Empörung wissen, was er davon hielt. »Ganz gleich, was man noch über ihre Vergangenheit herausfindet, Ihre Tante hat sich ganz der Arbeit an der Klinik hingegeben. Daß Sie so eine schreckliche Szene gemacht haben, wäre furchtbar für sie gewesen.«
Als er sah, wie unglücklich die junge Frau aussah, lenkte er ein. »Ich weiß, Sie haben Schlimmes durchgemacht«, sagte er zu ihr. »Nach der Messe haben Sie Gelegenheit, sich auszuruhen. Ich dachte, daß ein paar von Helenes Bekannten von St. Dominic’s Ihnen Gesellschaft leisten wollten.«
»Ich hab’ sie weggeschickt«, entgegnete Stephanie. »Ich kenne sie kaum, und es geht mir besser, wenn ich alleine bin.«
Nachdem der Anwalt gegangen war, arrangierte sie Kissen auf dem Sofa und legte sich hin. Ihr schwerfälliger Körper machte es schwierig, bequem zu liegen. Ihr Rücken tat jetzt die ganze Zeit weh. Sie fühlte sich so allein. Aber sie wollte nicht diese alten Frauen um sich haben, die sie bloß anstarren und über sie klatschen würden.
Sie war dankbar, daß Helene ausdrückliche Anweisungen hinterlassen hatte, im Falle ihres Todes keine Totenwache zu veranstalten, vielmehr ihre Leiche nach Rumänien zu überführen und im Grab ihres Mannes beizusetzen.
Sie döste ein und wurde vom Läuten des Telefons geweckt. Wer ist das schon wieder? dachte sie mißmutig.
Eine angenehme Frauenstimme ertönte. »Miss Petrovic?«
»Ja.«
»Ich bin Meghan Collins von PCD Channel 3. Ich war nicht in der Manning Clinic, als Sie gestern dort waren, aber ich habe Ihr Statement in den Elf-Uhr-Nachrichten mitbekommen.«
»Darüber will ich nicht reden. Der Anwalt meiner Tante ist sehr böse auf mich.«
»Ich wünschte, Sie würden mit mir reden. Ich kann Ihnen vielleicht helfen.«
»Wie wollen Sie mir helfen? Wie kann mir überhaupt jemand helfen?«
»Da gibt es schon Wege. Ich rufe vom Auto aus an. Ich fahre jetzt zu dem Gottesdienst. Darf ich Sie danach zum Lunch einladen?«
Sie klingt so freundlich, dachte Stephanie, und ich brauche einen Freund. »Ich will nicht wieder ins Fernsehen kommen.«
»Ich bitte Sie nicht um Fernsehaufnahmen. Ich bitte Sie, mit mir zu reden.«
Stephanie zögerte. Wenn der Gottesdienst vorbei ist, dachte sie, will ich nicht mit Mr. Potters zusammen sein und genausowenig mit diesen alten Frauen von der Rumänischen Gesellschaft. Die tratschen doch alle nur über mich.
»Ich komme mit zum Lunch«, sagte sie.
Meghan setzte ihre Mutter am Gasthof ab und fuhr dann, so schnell sie es wagte, nach Trenton.
Unterwegs machte sie einen weiteren Anruf, um Tom Weicker mitzuteilen, daß man den Wagen ihres Vaters gefunden hatte.
»Weiß sonst irgend jemand davon?« fragte er rasch.
»Bisher nicht. Sie versuchen es unter Verschluß zu halten. Aber wir wissen beide, daß es doch irgendwie an die Öffentlichkeit dringen wird.« Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. »Channel 3 kann ja wenigstens den direkten Draht haben.«
»Die Sache wird zu einer Sensationsgeschichte, Meg.«
»Das weiß ich.«
»Wir bringen es sofort.«
»Deswegen geb’ ich’s Ihnen ja auch.«
»Meg, es tut mir leid.«
»Lassen Sie nur. Es gibt bestimmt eine vernünftige Erklärung für das alles.«
»Wann ist Mrs. Andersons Baby fällig?«
»Sie haben sie für Montag im Krankenhaus eingewiesen.
Sie ist einverstanden, daß ich am Sonntag nachmittag zu ihr nach Hause komme und sie und Jonathan dabei aufnehme, wie die beiden das Zimmer fürs Baby herrichten. Sie hat Säuglingsbilder von Jonathan, die wir benutzen können. Nach der Geburt vergleichen wir dann Schnappschüsse der beiden Neugeborenen.«
»Bleiben Sie am Ball, jedenfalls vorläufig.«
»Danke, Tom«, sagte sie, »und danke für die Unterstützung.«
Phillip Carter verbrachte einen Großteil des Freitagnach-mittags damit, Fragen zu Edwin Collins über sich ergehen zu lassen. Mit immer weniger Geduld beantwortete er Fragen, die immer bohrender wurden. »Nein, wir hatten noch nie einen Fall, bei dem gefälschte Zeugnisse zur Sprache
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